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Ernst Engelberg

Als Spross einer sozialdemokratisch geprägten Familie – sein Großvater hatte bereits zur Revolution 1848 das adlige „von“ in seinem Namen abgelegt – war Ernst Engelberg von Anfang an zum Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime geboren. Als Sohn eines Druckereibesitzers und Gründers eines SPD-Ortsverbandes fühlte sich Engelberg schon früh zum Marxismus hingezogen. Sein Studium der Geschichte, Nationalökonomie, Philosophie und Rechtswissenschaften endete dann auch in einer Dissertation über die „deutsche Sozialdemokratie und die Bismarcksche Sozialpolitik“. Während ihn Bismarck für den Rest seines Lebens begleiten sollte – Engelberg gilt heute als der große Bismarck-Biograf und sein Buch, „Bismarck. Sturm auf Europa“, als das Standardwerk zum Reformer der Preußen – verließen ihn seine Lehrer schon früh. Als Ernst Engelberg seine Dissertation einreichte, befand sich sein Professor, Gustav Mayer, Historiker der Arbeiterbewegung, bereits im erzwungenen Exil.

Es dauerte nicht lange, da wurde auch Ernst Engelberg selbst der Vorbereitung des Hochverrats beschuldigt. 1934 wurde er verhaftet und zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Kaum war die Strafe abgesessen, flüchtete sich Engelberg in die Schweiz, wo er am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und am Institut für Sozialforschung u.a. für die Bewegung Freies Deutschland arbeitete. Doch auch hier konnte Engelberg dem langen Arm des Nationalsozialismus nicht lange entkommen. Er erhielt eine Einweisung ins Arbeitslager und emigrierte daraufhin kurzerhand nach Istanbul, wo er als Lektor für Deutsche Sprache eine Anstellung fand und den Krieg überdauerte. Dennoch war Ernst Engelberg einer der ersten, die 1945 aus dem Exil zurückkehren wollte. Es sollte jedoch drei Jahre dauern, in denen sich die Mühlen der Bürokratie langsam drehten, ehe es Engelberg möglich werden sollte, in die damalige Sowjetische Besatzungszone einzureisen. Hier trat er sofort der SED bei und übernahm einen Lehrstuhl an der Brandenburgischen Landeshochschule in Potsdam, wo er Geschichte unterrichtete.

Als Professor für die Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung an der Universität Leipzig legte Engelberg ab 1949 seinen Arbeitsschwerpunkt auf die Erforschung der revolutionären Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert und interessierte sich dabei besonders für die Führungspersonen August Bebel und Friedrich Engels. In den 1960er Jahren übernahm Engelberg die Stelle als Direktor am Akademie-Institut für deutsche Geschichte der DDR und führte dort später die Forschungsstelle für Methodologie und Geschichte der Geschichtswissenschaft. 1974 wurde Ernst Engelberg emeritiert, er war jedoch noch bis 1980 Präsident des Nationalkomitees der Historiker der DDR. 1985 veröffentlichte er das Ergebnis jahrelanger Arbeit in seiner zweibändigen Bismarck-Biografie. Nach wie vor war Bismarck für Engelberg eine beeindruckende Persönlichkeit, die er für ihren politischen Realismus, ihre geistige Umsicht und Phantasie bewunderte. Auch ihre Bereitschaft, das Heraufkommen einer neuen Zeit anzuerkennen – der Liebe zum alten Preußen zum Trotz – beeindruckte Engelberg. „Bismarck. Sturm auf Europa“ wurde 1985 zeitgleich in Ost- und Westdeutschland veröffentlicht und überwand so jegliche Ideologie-Grenzen. Ein Beweis für das große Interesse an Bismarck einerseits, ein Beweis für die brillante Arbeit Engelbergs andererseits. Der SPIEGEL-Redakteur Rudolf Augstein schrieb damals: „Engelberg nähert sich dem Mann Bismarck mit der gebotenen Objektivität und der gebotenen Sympathie, manchmal sogar mit recht generöser Sympathie. ... Man muss wohl Marxist zumindest gewesen sein, um den Teppich aus persönlichen und gesellschaftlichen Bezügen so meisterhaft zu wirken.“

In Westdeutschland deutete man das Erscheinen der Bücher Engelbergs damals als Zeichen der Liberalisierung der DDR fehl. Andere glaubten, Engelberg schriebe lediglich die neue geschichtspolitische Linie der SED fort, „nach der die DDR sich das fortschrittliche Erbe der deutschen Nationalgeschichte aneignete“ (WELT). „In einer Zeit, in der in der westlichen Forschung die Teilung weitgehend akzeptiert war, musste das wie ein neues nationales Paradigma erscheinen. Indes, es war nur höheres Kalkül. Es steht für die wissenschaftliche Klasse Engelbergs, in diesem Rahmen seine bemerkenswerte Biografie Bismarcks verfasst zu haben“, heißt es 2010 in der der WELT im Nachruf zu Ernst Engelberg. Zur Buchveröffentlichung 1985 erklärte Engelberg jedoch, „kein Mensch, auch nicht das Zentralkomitee der SED [habe ihm] da reingeredet.“

Stattdessen seien es „ganz gewöhnliche Historiker“ gewesen, die „zuerst auf den Gedanken [kamen], dass man der Erforschung und Darstellung der preußischen Geschichte wohl doch nicht aus dem Wege gehen dürfte.“ Viel zu lange hatten Friedrich der Große und Bismarck fälschlicherweise als die direkten Vorgänger Hitlers gegolten und wären so zu Unrecht verurteilt worden. Für Ernst Engelberg ein unerträglicher Zustand, dem er sich empört entgegenstellte. „Es ist mein moralisches Verdienst, dass ich, der ich im demokratischen badischen Milieu mit seinem oft abstoßenden Antipreußentum aufgewachsen bin, versucht habe, mich in die Junkerwelt einzuarbeiten. Ich habe Vorurteile überwinden müssen. Verkrampfungen mussten sich lösen.“ Nur weil ihm das gelang, war „Bismarck. Sturm auf Europa“ ein Buch, das man zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs lesen und für gut befinden konnte.

Nach dem Ende der DDR wurde Ernst Engelberg Mitglied der PDS. Seit 1990 gehörte er ihrem Ältestenrat an und war weiterhin Mitglied des Marxistischen Forums der Partei. Als er 2010 im Alter von 101 Jahren starb, hatte sich Engelberg um die Sozialdemokratie in Deutschland verdient gemacht. Dafür hatte man ihm in der DDR mit verschiedenen Auszeichnungen bedacht, darunter mit dem Nationalpreis der DDR und dem Vaterländischen Verdienstorden. Im vereinten Deutschland ist es wohl das größte Lob, dass seine Bismarck-Biografie anlässlich des 200. Geburtstags von Otto von Bismarck neu aufgelegt und von der Presse gefeiert wurde.

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