Cookie Consent by Free Privacy Policy website

Das ewige Rätsel um William Shakespeare

 

William Shakespeare PorträtIm April 2014 feierten wir den 450. Geburtstag von William Shakespeare – fraglos einer der bedeutendsten (wenn nicht sogar der bedeutendste) Schriftsteller des Abendlandes. Wann genau er zur Welt kam, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, die Forschung geht jedoch davon aus, dass William Shakespeare rund um den 23.04.1564 geboren wurde. Diese Unsicherheit über das Geburtsdatum des großen Dichters ist symptomatisch für sein gesamtes Leben: So häufig William Shakespeares Werke heute noch aufgeführt werden, so rätselhaft bleibt er für uns. Er ist ein Mythos, kaum greifbar. Das ist zum einen natürlich der Tatsache geschuldet, dass vor 450 Jahren noch ganz andere Verhältnisse in Englandherrschten. Die Zeiten, in denen alles dokumentiert und für die Nachwelt festgehalten wurde, waren damals gerade erst im Entstehen begriffen. Dementsprechend wundert es nicht, dass sich die Originaldokumente, die das Leben von William Shakespeare belegen, neben seinen Werken geradezu winzig ausnehmen. „Eine Million Wörter an dramatischem und lyrischem Text sind von ihm überliefert, aber nur 14 (!!) mutmaßlich in seiner Handschrift geschriebene Wörter wurden je gefunden.“ (DIE ZEIT)

 

Zum anderen liegt der Grund für unsere Unfähigkeit, William Shakespeare durch die Nebel der Geschichte hindurch genau zu betrachten, in der Epoche der Romantik in der Literatur begründet. Das Universalgenie Shakespeare wurde hier beinah bis zur Unkenntlichkeit verklärt. In dieser Zeit entwickelte sich auch die Eigenart, die Werke Shakespeares als autobiografische Dokumente zu verstehen. Bis heute hält sich diese Tendenz: Wir verstehen die Gedichte (vor allem die zweideutigen und anspielungsreichen Sonette) Shakespeares als Zeugnisse seines Lebens, als „gereimtes Tagesbuch“ (lyrikzeitung.com), wenn man so will. Doch zu Lebzeiten William Shakespeares war es überhaupt nicht üblich, dass sich Dichter in ihren Werken selbst reflektierten. Gedichte waren keine Ergüsse des Herzens, die einer Aufwallung der Gefühle geschuldet waren. Sie waren ein strenges Formenspiel, das gesellschaftlich reglementiert war und vor allem der Unterhaltung diente. Wir können die Texte und Gedichte also nur bedingt als Grundlage für unsere Annahmen über Shakespeare verwenden, was viele Spekulationen hinfällig macht.

 

Wer war William Shakespeare wirklich?



Dennoch – oder gerade deshalb – können wir nicht aufhören, uns zu fragen, wer William Shakespeare eigentlich war. Was können wir mit Bestimmtheit über ihn sagen, wenn schon sein Geburtstag, den wir nun feiern, eher eine vage Vermutung ist? Tatsächlich ist es so, dass das, was wir über die ersten 28 Lebensjahre von William Shakespeare wissen, auf die Rückseite einer Briefmarke passt. Wir wissen, dass er in Stratford-upon-Avon als Sohn eines Handschuhmachers geboren wurde und dass er hier vermutlich die Lateinschule besuchte. Weiter wissen wir, dass er mit 18 Jahren die Bauerntochter Anne Hathaway heiratete und mit ihr eine Familie gründete. Danach verliert sich die Spur von William Shakespeare für beinah zehn Jahre in den Nebeln der Geschichte. Gesicherte Quellen gibt es aus diesen „verlorenen Jahren“, wie sie in der Shakespeare-Forschung heißen, nicht. Stattdessen geben diese Jahre ausreichend Raum für Mythen und Legenden.

 

Und in dieser Zeit liegt auch der wohl größte Mythos um William Shakespeare begründet: Es hat ihn nie gegeben. Die Argumente, die darauf schließen lassen, dass es nie einen historischen Dichter William Shakespeare gegeben hat, bzw. dass der Dichter Shakespeare nichts mit dem Sohn eines Handschuhmachers aus Stratford-upon-Avon zu tun hatte, sind so vielseitig wie nachvollziehbar. Wie soll sich der Sohn eines Handwerkers eine solche hohe Bildung angeeignet haben? Immerhin verfügte der Dichter über einen gewaltigen Wortschatz von mehr als 29.000 Wörtern und über umfangreiches Wissen über Grammatik, Medizin, Poesie, Philosophie, Astronomie und Recht. Dafür brauchte es ein Universitätsstudium und ein entsprechend intellektuelles Umfeld. „Andererseits“, gibt Elke Schmitter in der Spiegel-Sonderausgabe zum 450. Geburtstag von William Shakespeare zu bedenken „lag für Shakespeare Böhmen am Meer, seine Stücke sind voller Irrtümer, wie sie einem wohl unterlaufen konnten, der vermutlich nie eine Universität von innen sah und England nie verließ, aber dessen Umgang und Phantasie weit genug reichten, um kleine und große Leute, Cäsaren und Gauner, Auftragsmörder, Aristokraten, Hofdamen und Prostituierte glaubhaft auf seiner Bühne sprechen zu lassen.“

 

Aber, wo wir schon einmal dabei sind, warum erwähnt kein historisches Dokument, das das Leben dieses Shakespeares bezeugt, seine Tätigkeit als Schriftsteller? Beide Fragen lassen sich mit einer Theorie erklären, die von den sogenannten Oxfordianern und Marlowianern mit Inbrunst verfolgt wird: William Shakespeare nur war ein Pseudonym, ein Deckname, eine Strohpuppe, derer sich ein talentierter Dichter bediente, der – aus welchem Grund auch immer – nicht mit den Werken in Verbindung gebracht werden wollte oder durfte. Insgesamt 57 Kandidaten von Christopher Marlow über Francis Bacon und den Earl of Oxford bis hin zu Elisabeth I. (!) wurden dafür bereits ins Felde geführt.

 

Mythen und Legenden um William Shakespeare


William Shakespeare bei der ArbeitDie Theorie, die sich am hartnäckigsten hält, ist die der Marlowianer. Der Name verweist auf Christopher Marlowe, einen Zeitgenossen Shakespeares und den talentiertesten Dichter seiner Zeit – bis William Shakespeare (im wahrsten Sinne des Wortes) die Bühne betrat. Marlowe hatte eine sehr gute Bildung genossen und sechs Jahre in Cambridge studiert. Er wäre intellektuell ohne Frage in der Lage gewesen, die Werke zu verfassen. Darüber hinaus hatte er sich durch seinen modernen, innovativen Schreibstil hervorgetan, der ihm ohne Zweifel größten Weltruhm eingebracht hätte, wäre ihm nicht William Shakespeare auf den Fuß gefolgt. Es heißt, Christopher Marlowe sei bei einer Messerstecherei ums Leben gekommen. Nur zwei Wochen, bevor William Shakespeare sein erstes Werk in London veröffentlichte und damit die Künstlerszene der Stadt aus den Angeln hob.

 

Kann das Zufall sein? Die Marlowianer glauben nicht daran und vertreten die Theorie, Marlowe sei ins Exil nach Italien gegangen und habe sich Shakespeares Namen bedient, um seine Werke unerkannt weiter veröffentlichen zu können. Einiges spricht für diese Theorie. Als homosexueller Rebell und Geheimagent, der wegen Ketzerei und Staatsbeleidigung angeklagt wurde, musste Marlowe politische Verfolgung befürchten. Außerdem lässt zum Beispiel „Romeo und Julia“ eine Orts- und Detailkenntnis über Verona und Italien erkennen, die Shakespeare, der nie in Italien war, unmöglich besessen haben kann. War der historische William Shakespeare also in Wahrheit nur ein kleiner, aber geschäftstüchtiger Darsteller und Theaterbesitzer, der den Strohmann für einen Adeligen gab?

 

Verschwörungstheorien um William Shakespeare


Eine ähnliche Theorie existiert auch über Edward de Vere, den Earl of Oxford, der es sich als Höfling nicht erlauben durfte, sich in der minderen Tätigkeit des Dichtens zu betätigen. Aus seinen frühen Jahren sind kunstvolle, anspielungsreiche, aber mittelmäßige Gedichte erhalten. Doch der Verdacht lässt sich nicht erhärten, denn de Vere starb zehn Jahre zu früh. Einige wichtige Dramen Shakespeares entstanden nach aktuellem Forschungsstand später. Und so ist es mit fast jeder These, die über die wahre Identität von William Shakespeare aufgestellt wird: Vieles spricht dafür, genauso vieles aber dagegen. Man kann die Geschichte drehen und wenden, wie man will, und es wird immer Tausend verschiedene Antworten geben.

 

Doch warum können wir nicht einfach akzeptieren, dass William Shakespeare der war, von dem die Literaturgeschichte heute annimmt, dass er es war? Warum fällt es uns so schwer, zu akzeptieren, dass der Sohn eines Handwerkers zum größten Genie der Neuzeit wurde? Wäre das zu schwer zu ertragen? Und war es vielleicht schon zu Lebzeiten Shakespeares zu schwer zu ertragen? Säten die Adligen, die wohl merkten, dass sich der Wind im Land gedreht hatte und das Bürgertum an die Macht strebte, deshalb die Legende, William Shakespeare sei nicht der gewesen, der er zu sein vorgab? Steckt hinter all dem vielleicht eine der größten Verschwörungen der Literaturgeschichte, die einfach nur verbergen soll, dass ein einfacher Mann Weltliteratur von unerreichtem Ausmaß schrieb, weil das die Literatur von ihrem Sockel gestoßen hätte? Vielleicht ist es so. Am Glanz der Werke von William Shakespeare ändert aber weder das eine noch das andere etwas. Sie erstrahlen zeitlos und werden immer zu den größten Schätzen der Menschheit gehören.

 


Diese Werke von William Shakespeare können Sie hier bestellen:


 

Passend dazu könnten Sie auch diese Buchtipps interessieren:



William Shakespeares Werke wurden oft verfilmt. Hier finden Sie die DVDs:


Literaturtipp der Woche

Carlos Ruiz Zafón Der Schatten des Windes

Als der junge Daniel von seinem Vater zum „Friedhof der vergessenen Bücher“ mitgenommen wird, hat er keine Ahnung, dass dieser...

Top-Thema

Der Mythos Goethe und was wir von ihm lernen

Goethe hat die deutsche Literatur und die Weltliteratur gleichermaßen geprägt und versetzt uns heute genauso sehr in Staunen wie damals seine Zeitgenossen. Das Universalgenie kann uns noch heute einiges lehren, wie Sie hier nachlesen können.

Goethe war ein Mensch, wie es ihn nur alle paar Jahrhunderte gibt.

Top-Thema

Das Drama als Ausdruck höchsten Genies

Das Drama gilt als die Königsgattung der Literatur. Schon Goethe sagte, es brauche Genie, um ein dramatisches Werk zu verfassen. Yasmina Reza bezeichnete es als das Königreich der Konzentration. Hier erfahren Sie, warum.

Wenn ein Genie ein Drama schreibt, hat es alle Fäden in der Hand.