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Der Mythos Goethe und was wir von ihm lernen

 

Goethe Statue auf ParkbankGoethe ist die ultimative Herausforderung für jeden, der sich mit Literatur beschäftigt. An ihm kommt man weder in der deutschen Literatur noch irgendwo sonst auf der Welt vorbei. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – ist es so schwierig, ihm gerecht zu werden, ihm, dem Jahrtausendgenie, dem „Übervater und Dichterfürsten“, „Deutschlands Größtem“ (Focus). So viel wurde über ihn geschrieben, so viel über ihn gesagt und gelobt, so viel wurde zitiert, dass der Mensch Goethe selbst hinter dem Bild des Universalgenies, des Bestseller-Autors, Staatsmanns, Philosophen und Naturwissenschaftler schon fast verschwunden ist. Zugleich sieht er uns durch all das klarer denn je an und zwingt uns geradezu, uns immer und immer wieder mit seiner faszinierenden Persönlichkeit auseinander zu setzen. Goethe hatte alles, war alles: Er war unendlich talentiert, sah gut aus, war beliebt und gesellig, begnadet und mit einer „überkomplexen Persönlichkeit“ ausgestattet (3sat).

 

Schon auf seine Zeitgenossen muss Goethe eine unglaubliche Wirkung gehabt haben. Wer ihm begegnet war, der vergaß das niemals in seinem Leben. Männer und Frauen vergötterten ihn gleichermaßen, wenn auch – in der Regel – aus unterschiedlichen Gründen. Unweigerlich fragt man sich, wie es gewesen sein muss, in der Nähe dieses Mannes zu sein, der wirkt wie von einem höheren Geist beseelt, dieses Mannes, der dem Doktor Faust in seinem berühmten Werk ähnlicher gewesen sein muss, als irgendjemand sonst. „Habe nun, ach! Philosophie,/ Juristerei und Medizin,/ Und leider auch Theologie /durchaus studiert, mit heißem Bemühn./ Da steh‘ ich nun, ich armer Tor,/ und bin so klug als wie zuvor!/ Heiße Magister, heiße Doktor gar,/ und ziehe schon an die zehen Jahr‘/ herauf, herab und quer und krumm meine Schüler an der Nase herum –/ Und sehe, dass wir nichts wissen können!/ Das will mir schier das Herz verbrennen.“ So beginnt Goethe der Tragödie ersten Teil.

 

Mann mit Tausend Facetten: das Universalgenie Goethe


Der Dichter selbst studierte in Leipzig Jura, besuchte aber außerdem Poetikvorlesungen, nahm Zeichenunterricht, las mystische und alchemistische Schriften, tauschte sich mit Theologen, Kunst- und Literaturtheoretikern aus, reiste viel und schaffte es schließlich im Staatsdienst zum Finanzminister. All das, während er fortwährend Werke der Weltliteratur hervorbrachte und einen recht ausschweifenden Lebensstil pflegte. Er gestaltete Hoffeste, schrieb Singspiele und Theaterstücke für das Weimarer Theater, beschäftigte sich mit Fragen des Berg- und Ackerbaus, der Holzwirtschaft, der Geologie und Mineralogie, der Botanik und Osteologie, machte wissenschaftliche Entdeckungen und verfasste Fachtexte. Mit Fug und Recht darf man Goethe als Universalgenie und Ausnahmetalent bezeichnen, das auch in der Geschichte seines Gleichen sucht. Einzig Archimedes, Leonardo da Vinci und Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz wiesen eine ähnliche Bandbreite an Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf wie Goethe. Nach ihm hat es bis heute – mit Ausnahme von Alexander von Humboldt vielleicht, der nur zwanzig Jahre jünger war als Goethe – keinen Menschen von solcher Größe gegeben.

 

Goethe im Verlauf seines LebensNun mag man anführen, dass die Zeit der Universalgenies inzwischen vorbei sei, dass wir heute in einer Welt von Individualisten, Spezialisten und Experten leben würden, doch das allein kann nicht der Grund dafür sein. Goethe muss von etwas anderem, größeren beseelt gewesen sein, das heute so herausstechen würde wie damals. Doch was das ist, das ist für uns heute weder zu greifen, noch in Worte zu fassen. „Wahrscheinlich wissen wir über Goethe mehr als über irgendeinen anderen Menschen“, sagt Goethes Biograf Nicholas Boyle. Dennoch wird diese Riesengestalt immer rätselhafter“ – und das sogar ihm, der sich schon seit vielen Jahren intensiv mit Goethe beschäftigt. Trotz der unendlichen Faktenfülle, der Selbstzeugnisse, der Werke, der Zeitzeugenberichte und Erinnerungen an Goethe bleibt der Dichter ein ungreifbarer Mythos. Es ist uns unmöglich, zu begreifen, wie ein einziger Mensch all das schaffen konnte. Was trieb ihn an, was beflügelte ihn? Was war der Funken, der aus diesem Menschen aus Fleisch und Blut schließlich das Genie Goethe machte? Worin unterschied er sich von seinen Zeitgenossen und fast allen anderen Menschen der Geschichte? All diese Fragen beflügeln das Interesse an Goethe, das niemals abgeebbt ist, seit der Dichterfürst 1832 in Weimar verstorben ist.

 

Nutze den Tag: Was Goethe uns heute noch beibringen kann


Stattdessen hat jede Generation seitdem eigene Interpretationen und Erklärungen für das Phänomen Goethe gesucht und gefunden. Wie Friedrich Maximilian Klinger, ein Kollege Goethes aus der Literaturepoche des Sturm und Drang, schon prophezeite – „Die Nachkommen werden staunen, dass je so ein Mensch war“ – versuchen die Nachkommen noch immer dem Wesen Goethe auf die Spur zu kommen. Die Antwort auf diese Fragen mag in jeder Generation anders aussehen. Jede Generation sieht etwas Neues in Goethe, etwas, das ihrem Zeitgeist entspricht. Und tatsächlich deckte Goethe im Verlauf seines überaus fruchtbaren Lebens mit mehr als 143 veröffentlichten Bänden, praktisch die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens und der menschlichen Empfindungen ab. Goethes Werk ist also eine prall gefüllte Schatztruhe, aus der sich jeder nehmen kann, was er gerade braucht und wonach er gerade sucht.

 

Goethe im hohen AlterUnd was ist das für unsere Zeit? Für eine Zeit, die – ähnlich wie der Sturm und Drang zu Goethes Lebzeiten – geprägt ist von Selbstverwirklichung und individueller Sinnsuche? Für uns ist Goethe die Verkörperung des Idealbildes des aktiven, schöpferischen, tätigen Menschen. Goethe dient uns als „Maßstab, wie der Mensch mit seiner Erdenzeit umgehen kann“ (Focus), schließlich hat er alles erreicht: Er hat Weltliteratur geschrieben, publiziert, ein Theater geführt, Staatsgeschäfte erledigt, naturwissenschaftliche Studien betrieben, ist gesellschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen, gereist und hat Liebesabenteuer erlebt. Goethe hat nichts im Leben ausgelassen, die 83 Jahre seines Lebens bis zur Neige ausgekostet und mit allem angefüllt, was ein Mensch erreichen kann.

 

Wie könnte er uns da nicht Vorbild sein in einer Zeit, in der der Konsum so viel von unserer Zeit auffrisst, dass wir nichts mehr selbst schaffen, nichts mehr kreieren, entwerfen, in der wir glauben, keine Zeit für nichts zu haben und nur der Uhr hinterher zu rennen? Goethe zeigt uns, dass wir mit der wertvollen Zeit, die uns gegeben ist, so viel anstellen können, so viel erschaffen können. Und dass wir dabei auch Fehler machen können. Die „Irrtümer des tätigen Menschen“ waren Goethe immer lieber als das „beckmesserische Genörgel“, das „ihm aus diversen Studierstübchen“ (Focus)entgegenschallte. Für Goethe galt: Lieber handeln, aktiv sein, schöpfen, kreieren und dabei Fehler machen, als nichts tun und das Leben verpassen. Er selbst war denn auch nicht unfehlbar, sondern zutiefst menschlich. Er liebte das Leben, die Liebe, die Frauen und den Wein, er feierte und ließ sich feiern, war sich seiner Größe bewusst,  war frech und arrogant und deshalb umso liebenswerter, er beschwor Neid und Missgunst herauf und scherte sich nicht darum. Und das ist wahrscheinlich das Beste am Mythos Goethe.

 

Lesen Sie hier mehr über das Leben von Johann Wolfgang von Goethe. Außerdem empfehlen wir Ihnen folgende Werke von Goethe:


Wilhelm Meisters Lehrjahre ist ein Paradebeispiel für die Gattung des Bildungsromans.


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