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Gruselromane: Das Grauen in verträglichen Dosen

 

Clown aus GruselromanenGruselromane sind ein Paradoxon unserer Gesellschaft: Sie werden geschrieben, um uns mit unseren schlimmsten Ängsten zu konfrontieren und uns Stresssituationen auszusetzen, die wir nie im richtigen Leben erleben wollen würden – und das alles in der Zeit, die wir uns eigentlich nehmen wollen, um uns zu entspannen, um dem Alltag zu entfliehen und durch Fantasiewelten zu reisen. Warum tun Menschen das? Warum suchen sie Zuflucht in einer Welt, die so viel schrecklicher ist als ihre eigene? Warum brauchen Menschen Gruselromane? Welchen Verlust gleichen sie aus? Und was genau passiert eigentlich, wenn wir uns gruseln und Angst haben? Jedes Jahr kurz vor Halloween fragen wir uns das wieder – und nun wollen wir endlich versuchen, eine Antwort auf diese Fragen zu finden.

 

In der Psychologie spricht man von der sogenannten Angstlust: Angst und Wonne vereinen sich zu einem angenehm prickelnden Gefühl – jedoch nur dann, wenn die Rückkehr in die Sicherheit gewährleistet ist. Das heißt, der Leser muss wissen, dass er den Gruselroman zuschlagen kann und sich in der vertrauten Sicherheit seines Zuhauses befindet. Im Idealfall ist er nicht alleine und muss die Nacht über nicht fürchten, von den grausigen Figuren des Romans heimgesucht zu werden. Wir genießen Gruselromane – und im übrigen auch Horrorfilme – immer dann am meisten, wenn wir wissen, dass nachts jemand neben uns liegt, an den wir uns kuscheln können, der uns beschützt und die Dämonen aus den Gruselromanen von uns fern hält.

 

Warum wir das Grauen der Gruselromane genießen

 

Was wir an Horror-Büchern also lieben, ist, dass wir uns einen Moment aus der Sicherheit unseres alltäglichen Lebens herauswagen können, um uns dann, sobald uns die Angst übermannt, dorthin zurückkehren zu können. Wir genießen den Nervenkitzel, die Adrenalin-Ausschüttung, ohne uns ernsthaft in Gefahr begeben zu müssen. Es ist ein bisschen so, als streckten wir den Fuß aus und berührten mit der Spitze des großen Zehs die Oberfläche eines eiskalten Sees. Wir wissen dann, wie kalt das Wasser ist – eiskalt! – und wir sind froh, dass wir nicht mit dem Kopf zuerst hineingesprungen sind.

 

Stattdessen ziehen wir uns nach diesem kurzen Eintauchen dicke Socken über und schätzen uns glücklich, nicht mit den Figuren der Gruselromane tauschen zu müssen. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, wir sind in Sicherheit, werden nicht von Zombies gejagt, von Vampiren (die gar nichts mit Edward Cullen gemeinsam haben) im Todestanz umgarnt oder von gruseligen Kindern, aus deren Augen uns das Böse anlacht, verfolgt. Wir wissen, all das Grauen lässt sich letztendlich auf Bilder in unserem Kopf und schwarze Buchstaben auf weißem Papier reduzieren. Das ist etwas, das wir bewältigen können. Im Gegensatz zum echten Grauen, das uns vollkommen überraschend trifft, wissen wir, worauf wir uns einlassen, wenn wir Gruselromane aufschlagen. Es ist ein kalkulierbares Risiko, uns auf diese Geschichte einzulassen.

 

Zombie-Mädchen aus GruselromanenTatsächlich aber sind Gruselromane so etwas wie eine Generalprobe für den Ernstfall – und das ist historisch bedingt. Schon unsere ganz frühen Vorfahren versammelten sich, um einander Geschichten von grausamen Dämonen zu erzählen, von schrecklichen Ungeheuern, von bösen Menschen und fürchterlichen Taten. Doch diese frühen Gruselgeschichten dienten nicht allein der Unterhaltung in den langen Nächten am Feuer, sondern hatten auch eine gesellschaftliche Funktion. Sie enthielten eine Lehre: Gehe nicht allein in den dunklen Wald, meide diesen Ort, vertraue diesen und jenen Menschen nicht. Diese in Geschichtenform verpackten Hinweise wurden von der Gruppe verstanden und mögen so manchem von ihnen das Leben gerettet haben. Ohne die Angst vor dem, wovon die Geschichten erzählten, hätten die Menschen damals nicht überleben können. Angst ist ein ureigenster Instinkt, das zu meiden, was uns schaden kann. Märchen sind Überbleibsel dieser Geschichten und damit den Gruselromanen gar nicht so unähnlich – wenigstens dann, wenn man die Fassungen betrachtet, die den Originalen treu geblieben sind, anstatt die Geschichten in unschuldige, quietsch bunte, kinderfreundliche Bilder zu verpacken, auf denen es vor Prinzessinnen in rosa Kleidchen und glitzernden Feen nur so wimmelt. Öffne keinem Fremden die Tür, sagen sie. Es könnte der Wolf sein. Nimm nichts von Fremden an, sie könnten dich verschleppen und in ihrem Haus einsperren. Gehe nicht mit zwielichtigen Gestalten Geschäfte ein, sie könnten dir am Ende dein Kind nehmen. In ihrer ureigensten Form sind alle diese Märchen archaische Gruselromane.

 

Gruselromane als Droge des modernen Menschen

 

Natürlich gruseln wir uns heute vor anderen Dingen als noch vor 200 Jahren. Unsere Lebenswirklichkeit hat sich seitdem so sehr verändert, dass sich das auch auf die Dinge ausgewirkt hat, vor denen wir uns gruseln. Die Urängste sind uns zwar geblieben - Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten, der Dunkelheit – doch die Gestalt, in der uns diese Angst begegnet, hat sich gewandelt. Das moderne Monster ist nicht mehr offensichtlich böse und an seinem Gestank und seinem abstoßenden Äußeren zu erkennen. Kinder und Clowns sind die Stars moderner Gruselromane und –filme. Es ist das Grauen, das sich hinter einer unschuldigen Fassade verbirgt und deshalb umso schrecklicher ist, weil es uns unvorbereitet trifft. Wir haben gelernt, dass Gut und Böse nicht mehr so leicht zu unterscheiden sind, die Welt ist nicht mehr so einfach und überschaubar ist, wie sie es vor Jahrhunderten noch war. Wir müssen damit rechnen, dass uns das Böse an Orten erwischt, an denen wir niemals damit gerechnet hätten. Wir können niemandem und nichts vertrauen, nichts ist sicher. Das ist der Stoff, aus dem Gruselromane heute gemacht sind. Doch noch immer enthalten sie Botschaften, die wir als Generalprobe für das wirkliche Leben verstehen können. Wir lernen, uns niemals von der Gruppe zu trennen, wenn wir in einem großen, dunklen Wald unterwegs sind, niemals in einem unheimlichen, leeren Haus zu schreien: „Hallo, ist jemand da?“ (Wir könnten eine Antwort bekommen, die uns gar nicht gefällt!), wir lernen, keinen unschuldig aussehenden Kindern zu vertrauen, die allein und im Nachthemd durch stockdunkle Straßen geistern und sind allzu einschmeichelnden Stimmen in Kombination mit einem Lächeln, das die Augen nicht erreicht, gegenüber vorsichtig. Das sind die wirklichen Gefahren in unserer Welt, die so groß und komplex geworden ist, dass wir den Überblick verloren haben. Statt einer festen Dorfgemeinschaft, die sich sicher um uns schließt, sind wir alle zu Einzelkämpfern in einer unübersichtlichen Welt geworden, wo es nur wenig gibt, an dem wir uns festhalten können.

 

Shining von Stephen King als Beispiel für GruselromaneIn Gruselromanen lernen wir Dinge, die wir im echten Leben hoffentlich niemals werden anwenden müssen. Wir wagen uns in Situationen, die wir sonst um jeden Preis meiden würden. Aber alles nur, weil wir wissen, wir können das Horror-Buch zuklappen, es in der untersten Schublade vergraben, ins Eisfach legen, es wegschmeißen oder verbrennen, wenn es uns zu viel Angst macht. Wir können das Böse, das sich in den Gruselromanen versteckt, beherrschen, sind ihm nicht schutzlos ausgeliefert – anders als in der Realität. Wir dürfen uns den Nervenkitzel gönnen, weil wir wissen, dass wir nicht in ernsthafter Gefahr sind.

 

Adrenalin und Noradrenalin werden dennoch ausgeschüttet, der Herzschlag beschleunigt sich, das Blut wird besser mit Sauerstoff versorgt. All diese Prozesse waren früher notwendig, um das Überleben zu gewährleisten, um kämpfen beziehungsweise fliehen zu können. Dieses kurzzeitige Hochgefühl, das durch den Grusel und die damit einhergehende Angst aufkommt, ist wie eine körpereigene Droge. Sie verleiht uns für den Moment Flügel. Hat man diesen Moment einmal erlebt, möchte man ihn bis zu einem bestimmten Punkt immer wieder ausreizen. So kommt es, dass Menschen, die einmal begonnen haben, Gruselromane zu lesen, immer mehr Gruselromane lesen und dass Menschen, die diese Lust an der Angst bei Gruselfilmen verspürt haben, dieses Gefühl mit immer neuen Filmen herausfordern wollen. Dabei tritt natürlich auch ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Konnte man anfangs vor Angst kaum schlafen, stumpft das Grauen irgendwann ab. Auch das ist Teil der angeborenen Überlebensstrategie. Der Körper kann bei sich wiederholenden Ereignissen nicht jedes Mal in höchste Alarmbereitschaft versetzt werden. Irgendwann realisiert er, dass davon gar keine echte Gefahr ausgeht. Es braucht also härtere Gruselromane, um das gleiche Gefühl zu erzeugen. Bücher und Filme, die Einsteigern den Verstand rauben würden, sind dann gerade gut genug. Gruselromane können also tatsächlich süchtig machen. Doch Bücher sind eine Droge, die man – angesichts der Alternativen – gerne in Kauf nehmen mag.

 

Um diese Sucht zu befriedigen, haben wir Ihnen hier die besten Gruselromane zusammengestellt:

 

Klassische Gruselromane

 

Gruselromane von Stephen King

 

Gruselromane von Dean Koontz

 

Gruselromane von Guillermo del Toro

 

Moderne Gruselromane

 

Ein Gruselroman der etwas anderen Art ist Horrorstör von Grady Hendrix. Er sieht aus wie ein IKEA-Katalog in seiner makellosen Optik, doch er erzählt vom Möbelladen ORSK in Cleveland, in dem es nachts zu unheimlichen Vorkommnissen kommt. Jeden Morgen treffen die Angestellten aufs Neue auf zerstörte Ware und Schmierereien an den Wänden. Als drei Mitarbeiter dazu abgestellt werden, nachts ihre Runden zu ziehen, kommen sie dem schaurigen Geheimnis des Ladens auf die Schliche. Äußerst originell!

Wenn Sie vom Gruseln gar nicht genug bekommen können, empfehlen wir Ihnen den schaurigen Bastelspaß aus "Horrorgami: 20 gruselige Szenen zum Schneiden und Falten".

 

Noch mehr Grusel gefällig? Stöbern Sie doch einmal in unseren Empfehlungen für Psychothriller.

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