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Arno Gruen

Arno Gruen setzt sich als Psychoanalytiker u.a. mit dem Mitgefühl auseinander. © Juliet HallerArno Gruen (Jahrgang 1923) appelliert in seinen Büchern an das Mitgefühl der Menschen und hat mit „Dem Leben entfremdet“ ein Buch geschrieben, das eindringlich erklärt, „warum wir wieder lernen müssen zu empfinden.“ Als Psychoanalytiker, Neurologe und Psychologe setzte sich Gruen, der in den USA als Psychoanalytiker bei Theodor Reik promoviert hat und anschließend als Professor und Therapeut an verschiedenen Universitäten, Kliniken und in seiner Praxis tätig war, intensiv mit den psychologischen Ursachen für Gewalt und Fremdenhass auseinander und studierte, zu welchen Gewalttätigkeiten die menschliche Spezies in der Lage ist. Arno Gruen beobachtete, in welchem Maße es dem Menschen möglich ist, anderen Menschen Leid zuzufügen – und das, ohne mit der Wimper zu zucken.

Seine Erkenntnis: „Unsere Zivilisationsentwicklung beeinträchtigt Liebe und damit Empathie nachhaltig, oft zerstörerisch.“ Damit setzten wir, Gruen zufolge, das aufs Spiel, was uns letztendlich zum Menschen macht und uns von den Tieren abhebt, die Liebe, die Fähigkeit zur Empathie, zum Mitgefühl. Ohne Mitgefühl verroht der Mensch, gibt es keine Moral mehr und keine Grenzen für die Gewalt. Liebe, Wärme und Menschlichkeit sind, Arno Gruen zufolge, das Einzige, was uns Demokratie und Menschenwürde bewahrt. Ohne sie steht die Menschheit am Abgrund. All dies hat er in mehreren Büchern sehr gut zum Ausdruck gebracht – und wurde dafür bereits mehrmals ausgezeichnet.

Vor allem das Buch „Dem Leben entfremdet“ hat Gruen ganz der verkümmerten Empfindungsfähigkeit unserer Kultur gewidmet. Im Interview mit dradio.de sagte er: „Wir haben gelernt wegzuschauen, weil wir sind verheddert, könnte man sagen, in abstrakten Arten des Denkens, entfernt davon, was wir emotionell, empathisch wahrnehmen könnten.“ Das begünstige nicht nur die Entstehung von Kriegen, sondern auch die Existenz des Bösen im Allgemeinen. In seinem Buch führt Arno Gruen Adolf Hitler als Beispiel dafür an: Seine Idee sei es gewesen, „eine Jugend zu erziehen, die kein Gefühl für Schmerz und Angst hatte. Und er versuchte dann, die Kinder so zu erziehen, dass sie keine empathischen Gefühle empfanden.“ So seien Mörder heran erzogen worden, Menschen, die Grausames tun konnten, ohne durch Mitgefühl oder Moral beeinträchtigt zu werden. Diese Entwicklung hat sich, Gruen zufolge, bis heute fortgesetzt, wenn auch in anderer Form. In seinen Büchern fordert er deshalb eindringlich dazu auf, ihr Einhalt zu gebieten. Kriege, Gewalt und Zerstörung könnten nur verhindert werden, wenn die Menschen in der Lage seien, Mitgefühl zu empfinden.

Diese Auffassung hatte Gruen bereits in vorangegangenen Büchern und Aufsätzen vertreten, darunter in „Ich will eine Welt ohne Kriege“, „Der Kampf und die Demokratie“ und „Der Fremde in uns". Nachhaltig geprägt hat Arno Gruen die Zusammenarbeit mit dem Psychiater Murray Cox, der in britischen Gefängnissen mit „bösen, überzeugten Gewalttätern“ zusammenarbeitete und mit ihnen Shakespeare-Dramen einstudierte. „Und das Bemerkenswerte war, dann fingen sie an, den Schmerz, den sie ihren Opfern zugefügt haben, zu erleben. Das meint, wir haben es in uns, von Geburt an, empathisch zu leben und zu empfinden“, erzählte Arno Gruen gegenüber Deutschlandradio Kultur. 2002 analysierte Arno Gruen in „Wider den Terrorismus“ auf Basis der noch ganz frischen Eindrücke des 11. Septembers 2001, was Terrorismus ist, wie er entsteht und was man dagegen tun kann. Einmal mehr blickt er dabei durch die Brille des Psychoanalytikers auf ein aktuelles Thema und entlarvt die Kindheit als Schlüssel des Phänomens Terrorismus. Eine Kindheit, die keine ist und als purer Terror wahrgenommen wird.

2015 veranlasste ihn der tödliche Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris dazu, das Buch noch einmal zu überarbeiten und neu zu veröffentlichen. Es ist heute noch so aktuell wie bei seinem ersten Erscheinen mehr als 10 Jahre zuvor. Deshalb hat sich auch an der Kernaussage Gruens nicht viel geändert. Noch immer sieht er die Kindheit als Auslöser für terroristische Handlungen und analysiert dies anhand des IS: „Der Feind ist weiblich, und man selbst ist das idealisierte Bild des starken, großartigen Mannes. Natürlich verbergen sich hinter dieser Haltung kindliche Ohnmachtsgefühle und der innere Terror, der mit den erziehenden Autoritäten erlebt wurde. Diese alten Empfindungen werden jedoch erst durch aktuelle Demütigungen wieder erweckt, durch Gefühle von Wertlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die Hunderte Millionen unterdrückter Menschen in der Welt miteinander teilen. Dort, wo die frühe Kindheit in besonders starkem Ausmaß als terrorisierend erlebt wurde, führt die alte Ohnmacht zu grandiosen Machtphantasien und einer erbarmungslos destruktiven Gewalt.“ Deshalb, so Arno Gruen, sei es auch keine Option, Terrorismus mit Terror zu bekämpfen. Jene, die es versuchten, seien „Spiegelbilder derjenigen, die uns durch Terrorakte in Angst und Schrecken versetzen. Auch sie brauchen Feindbilder, um ihr eigenes Persönlichkeitsgefüge aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis ist ein sich durch immer mehr Gewalt aufschaukelnder Prozess, der nur in einer Apokalypse enden kann.“ Die Lösung liegt für ihn in einer neuen und mitfühlenderen und dadurch gerechteren Formen des Zusammenlebens aller Menschen.

2014 veröffentlichte Arno Gruen außerdem ein Buch, in dem er sich mit der Problematik des Gehorsams auseinandersetzt. Darin ähnelt es dem Buch „Empört euch!“ von Stéphane Hessel. In „Wider den Gehorsam“ zeigt Gruen auf, wie wir von frühester Kindheit – noch bevor wir sprechen oder überhaupt strukturiert denken können, lernen müssen, gehorsam zu sein – und wie das zu einer geradezu reflexhaften Gehorsamkeit in allen Lebensbereichen führt. Von Kindesbeinen an lernen wir, unsere eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle zu verdrängen und sie dem unterzuordnen, was (auch stillschweigend) von uns erwartet wird. Gruen seziert: „Das Bedürfnis nach Gehorsam ist ein grundlegender Aspekt unserer Kultur“, der zu einem gravierenden Mangel an innerer und gesellschaftlicher Freiheit führt. Für Arno Gruen ist das nichts anderes, als eine freiwillige Knechtschaft. Mit seinem Buch „Wider den Gehorsam“ regt er dazu an, gegen die „Kultur des verschwiegenen Gehorsams“ zu revoltieren und so der Demokratie neuen Aufwind zu verleihen, sie zu stärken und zur Grundlage eines besseren Miteinanders zu machen.

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