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Nino Haratischwili

Nino Haratischwili schreibt junge Weltliteratur. © Danny Merz-SollsuchstelleWenn sich Nino Haratischwili (Jahrgang 1983) für ihren epochalen Roman ein literarisches Vorbild genommen hat, dann kann es eigentlich nur Leo Tolstoi persönlich gewesen sein. Mit 1281 Seiten ist „Das achte Leben (Für Brilka)“ alles andere als leichte Lektüre (auch im wörtlichen Sinne), die sich nebenbei weglesen lässt. Ein ganzes Jahrhundert Familiengeschichte umspannt die Saga, das ganze Panorama georgisch-russisch-sowjetischer Geschichte im 20. Jahrhundert, eine Geschichte voller Bürgerkriege, Unterdrückung und fremder Gewalt. Gewidmet ist das Buch Nino Haratischwilis Großmutter, die ihr „1.000 Geschichten und ein Gedicht schenkte“, ihrem Vater, der ihr „eine Tasche voller Fragen hinterließ“ und ihrer Mutter, die ihr sagte, wo sie nach Antworten suchen soll. Das Ergebnis dieser Spurensuche liegt mit „Das achte Leben (Für Brilka)“ vor.

Das Schicksal der Tbilisser Familie Jaschi ist eng mit der großen Weltgeschichte verknüpft und zugleich eine Chronik Georgiens im 20. Jahrhundert. Immer wieder ist es der Eindringling Russland, der das Leben der einzelnen Familienmitglieder aus der Bahn lenkt, der ihre Träume tötet, sie aufsteigen und im nächsten Moment wieder fallen lässt, der sie voneinander trennt und Frauen dazu zwingt, ganze Kontinente zu überqueren, um ihre Männer zurückzuholen. Das ist die Welt, die Nino Haratischwili in „Das achte Leben (Für Brilka)“ zeichnet, eine dunkle Welt, beklemmend und doch in ihrer historischen Authentizität absolut fesselnd und bezwingend. Vielleicht liegt das daran, dass die Geschichte, die Haratischwili erzählt, auch ein bisschen ihre eigene Geschichte ist, die Geschichte ihres Volkes. In Tbilissi (Tiflis), der georgischen Hauptstadt, geboren, lebt die Autorin heute in Hamburg, von wo aus sie einen anderen Blick auf ihr Heimatland gehabt haben dürfte. Sicher hilfreich, wenn man ein historisches Panorama zeichnet, das sich vom zaristischen Russland bis ins Nachwende-Berlin entspannt, ein gewaltiges Tableau, das vor allem davon lebt, dass es von Nino Haratischwili „mit ihren prächtig ausgeleuchteten Figuren und Szenen ganz ausgezeichnet bestückt“ (SPIEGEL) wurde.

Wenn Haratischwili die Geschichte der Familie Jaschi erzählt, dann erzählt sie damit Weltgeschichte. Sie hangelt sich an historischen Begebenheiten entlang, am Sturz des Zarenreiches, der Oktoberrevolution, dem Aufstieg des Sowjetsystems, dem Zweiten Weltkrieg, dem Kalten Krieg, Glasnost und Perestroika und dem Kampf um die lang ersehnte Autonomie Georgiens. Nur einen kleinen Ausschnitt dieser 100 Jahre umfassenden Geschichte hat Nino Haratischwili, die als eine der vielversprechendsten Autorinnen der neuen Weltliteratur zählt, selbst miterlebt. Schon als Jugendliche gründete sie in ihrer Heimat das „Fliedertheater“, eine deutsch-georgische Theatergruppe, schrieb eigene Stücke und inszenierte sie. Im Anschluss studierte sie Filmregie an der staatlichen Schule für Film und Theater in Tiflis, an jener Schule, die auch Miqa Eristawi in „Das achte Leben (Für Brilka)“ besuchte. 2003 ging sie nach Hamburg und studierte Theaterregie an der Theaterakademie in Hamburg. Seitdem zeichnete Nino Haratischwili für zahlreiche Inszenierungen u.a. am Deutschen Theater Göttingen, auf Kampnagel Hamburg und am Thalia Theater verantwortlich und erhielt für ihre dramatischen Texte mehrere Auszeichnungen.

2010 erschien der erste Roman von Nino Haratischwili: „Juja“. Er brachte sie auf Anhieb auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. 2011 erhielt das Buch den Debütpreis des Buddenbrookhauses Lübeck. Auch ihr zweites Buch, „Mein sanfter Zwilling“, aus dem Jahr 2011 war ein großer Erfolg und wurde mit dem Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage ausgezeichnet. „Das achte Leben (Für Brilka)“ ist nun ihr dritter Roman, erschien 2014, und überrascht – gerade in Anbetracht des jungen Alters der Autorin – durch seine Reife, seine tiefe Erkenntnis und seine wahrhaft Tolstoischen Ausmaße. Haarfeine Nuancen, brillante Beobachtungen und beklemmend realistische Beschreibungen sorgen dafür, dass dieser Roman von Nino Haratischwili seine Leser einfach nicht kalt lassen kann. Dass man mit Stasia, Christine, Kitty, Kostja, Elena, Niza, Daria und Brilka liebt und leidet, dass man immer wieder hofft, nur um dann umso tiefer zu fallen, dem ewigen Flug des Schokoladenfabrikanten folgend. Anschließend stellt man sich dann die Frage, was man von einer so talentierten Autorin wie Nino Haratischwili noch erwarten darf, die schon mit 31 Jahren einen Roman vorlegte, für den andere Autoren ein ganzes Leben brauchen.

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