Katrin Himmler
Wie geht man damit um, wenn der eigene Familienname beim bloßen Klang schlimme Erinnerungen an eine der dunkelsten Epochen der deutschen Geschichte denken lässt und wenn der eigene Großonkel eine Mitschuld am Massenmord von Millionen von Menschen trägt? Katrin Himmler (Jahrgang 1967) muss es wissen: Sie ist die Großnichte des Reichsführers-SS und Organisators des Holocausts, Heinrich Himmler, und ihre Familiengeschichte ist für sie ständig präsent und allgegenwärtig. Schon sehr früh hatte sich in der Familie Himmler der Gedanke manifestiert, Heinrich Himmler sei das schwarze Schaf der Familie gewesen. Diese Annahme machte es vermutlich leichter, mit dem Namen Himmler zu leben. Heinrich Himmler blieb der allein Schuldige und alle anderen Familienmitglieder wurden entlastet. Da erscheint es beinah pflichtbewusst, dass Katrin Himmler Politikwissenschaften studierte und sich anschließend intensiv mit den Themen Rassismus und Interkulturalität auseinandersetzte – ganz so, als wolle sie mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Verbrechen, die unter anderem von ihrem Großonkel verübt wurden, ihren Teil dazu beitragen, das begangene Unrecht wieder gut zu machen.
Alles begann mit der Frage ihres Vaters, ob sie im Bundesarchiv nachfragen könne, ob es dort irgendwelche Akten über seinen eigenen Vater gäbe. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Katrin Himmler keinen Gedanken darauf verwendet, dass ihr Großvater etwas anderes hätte sein können, als der kleine Bruder von Heinrich Himmler. Doch dann saß sie vor den Akten ihres Großvaters und las dort, dass er schon 1931 in die Partei eingetreten war und 1933 auch in die SS. Das machte Katrin Himmler fassungslos. Von diesem Moment an konnte sie die familiäre Vergangenheit nicht mehr auf sich beruhen lassen. Im Interview mit der 18-jährigen Lavinia Kleßmann, das im Spiegel abgedruckt wurde, erklärte Katrin Himmler, dass sich für sie in diesem Moment das ganze Bild der Familie veränderte und das Thema sie nicht mehr losließ. Umso mehr, als sie spürte, dass ihre Familiengeschichte kein Einzelfall war, sondern repräsentativ für die Verhältnisse in gutbürgerlichen deutschen Familien jener Zeit. Aus diesem Gedanken heraus entstand das Buch „Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte“. Gegenüber Lavinia Kleßmann sagte Katrin Himmler: „Ich habe gemerkt, dass man über mehrere Epochen an dieser Familie sehr viel über die deutsche Gesellschaft lernen kann. Sowohl in Bezug auf den Nationalsozialismus, als auch über die Verstrickung zwischen den Haupttätern, den Mittätern, den Mitläufern und den Profiteuren auf diesen ganz unterschiedlichen Machtebenen, die alle miteinander verwoben waren. In diesem Fall sieht man auch ganz besonders deutlich, wie alles auf familiären Netzwerken beruhte. Alle hingen irgendwie mit drin […].“ Im Kontext ihrer Zeit betrachtet, ergab sich so ein ganz neues Bild der Brüder Himmler. So führt Katrin Himmler vieles auf die autoritäre, monarchistische Gesellschaft dieser Zeit mit ihren autoritären Erziehungsstrukturen zurück, die sich auch am Vater der Brüder Himmler deutlich ablesen lassen.
Nach der Veröffentlichung des Buches riss ihr Kontakt zu ganzen Teilen der Familie Himmler ab. Vor allem zu den Kindern des ältesten Bruders Gebhard. Zur Tochter von Heinrich Himmler selbst, die noch immer in rechtsextremen Kreisen aktiv ist, hatte Katrin Himmler hingegen nie Kontakt. Sogar ihre Schwester und ihre Cousins vermieden das Thema im Gespräch mit ihr. „Gut möglich, dass auch einige das Gefühl hatten, es ist ganz praktisch, dass ich das jetzt erledige, stellvertretend für die Familie. Da kann ich aber nur spekulieren“, sagte Katrin Himmler zu Lavinia Kleßmann. Auch nach der Buchveröffentlichung hat sie sich weiter mit dem Thema beschäftigt. 2014 erschien ihr zweites Buch: „Himmler privat: Briefe eines Massenmörders“, in dem sie mit dem Historiker Michael Wildt den Briefwechsel zwischen Heinrich Himmler und seiner Frau Marga einleitet und ausgiebig in Fußnoten kommentiert. Die Briefe sollen im Mai 1945 aus Himmlers Privathaus entwendet worden und über Umwege in den Besitz des Holocaust-Überlebenden Chaim Rosenthal nach Israel gelangt sein. Rosenthal verkaufte sie vor einigen Jahren an den Vater der Filmemacherin Vanessa Lapa, die sie der Zeitung „Die Welt“ vorlegte und einen Film daraus machte. Im Anschluss durften Katrin Himmler und Prof. Dr. Michael Wildt die Briefe analysieren und daraus ein Buch zusammenstellen, das den Leser fassungslos macht in Anbetracht der Verblendung und dem Mangel des Paares an Empathie. Während Millionen von Menschen starben, Hunger litten oder unter fürchterlichen Bedingungen in KZs ihrem Schicksal harrten, unterhielten sich Marga und Heinrich Himmler in ihren Briefen über private, alltägliche Belanglosigkeiten, als seien sie nur ein ganz gewöhnliches Ehepaar in einer friedlichen Zeit. Das Perfide dieses Briefwechsels wird durch die Ergänzungen, Kommentare und Belege von Katrin Himmler und Michael Wildt noch deutlicher.
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