Franz Kafka
Franz Kafka (1883 – 1924) war ein tschechisch-jüdischer Schriftsteller, der für seine grotesken und absurden („kafkaesken“) Geschichten, die zwischen Traum und Wirklichkeit schwanken, berühmt geworden ist. Zweifellos ist er eine der kontroversesten und kuriosesten Gestalten der Literaturgeschichte: Für Psychologen ist er ein Kuriosum, an dem sie sich nach Belieben verausgaben dürfen, Literaturwissenschaftler lassen keine textimmanente Interpretation unversucht und Generationen von Abiturienten saßen zunächst ratlos vor seinen Werken, bevor sie auch nur annähernd einen Zugang zu den bizarren Texten fanden. In seinem Essay über Franz Kafka fasste es der Musiktheoretiker Theodor W. Adorno einmal so zusammen: „Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden.“ Überall scheint man in Kafkas Bildhaftigkeit Interpretationsansätze und Erklärungen zu finden, doch zwei zusammengewürfelten Puzzles gleich, wollen sich die Einzelteile einfach nicht fehlerfrei zusammensetzen lassen. Das mag auch daran liegen, dass vieles fragmentarisch blieb, was Kafka der Nachwelt vermachte.
Viele der Werke von Franz Kafka zählen heute zum Kanon der großen Weltliteratur, darunter auch die Erzählungen „Die Verwandlung“ und „Der Prozess“. Hellmuth Karasek nahm "Der Prozess" 2015 in seine Sammlung der "25 Bücher auf Deutsch, die jeder gelesen haben sollte" in der BILD-Zeitung auf und schrieb: "Der erste Satz von Kafkas Angestellten-Roman, "Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet", ist der wichtigste Satz der modernen Literatur. Der Held gerät in eine albtraumartige Welt, die eines der düstersten Spiegelbilder des 20. Jahrhunderts ist."
Das Interesse des Jungen an Literatur war schon früh geweckt worden und so begann er schon in seiner Kindheit und Jugend, viel zu schreiben. Von diesem Frühwerk ist allerdings nichts mehr erhalten und es ist davon auszugehen, dass der unsichere, depressive junge Mann es selbst vernichtet hat. Seine Jugend war überschattet von seinem als tyrannisch erlebten Vater. Den Konflikt mit ihm griff er literarisch immer wieder auf (z. B. in „Die Verwandlung“). Der Roman beginnt mit dem erschütternd nüchternen Satz: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Niemals wird diese furchtbare Situation aufgelöst; der Leser durchleidet sie mit Gregor bis zum Ende. Die Interpretation scheint einfach: Franz Kafka fühlte sich als ungewolltes, ungeliebtes Kind, ein Fremdkörper in der Familienidylle. Und so ist die Familie Samsa nach dem Tode Gregors auch so erlöst und glücklich und beobachtet voller Stolz wie die Tochter zu „einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht war.“ Derlei Hinweise gibt es in Kafkas Werk sehr viele, doch ganz sicher sein kann man sich bei Kafka nie. Die Familie Kafka gehörte zu den oberen 10 Prozent in Prag und lebte in einigem Wohlstand. Die Eltern betrieben eine koschere Schlachterei und ließen ihre Kinder zum größten Teil vom Dienstpersonal aufziehen. Diese Distanz und die sich daraus entwickelnde Hassliebe zu den Eltern – vor allem zum Vater – waren es, die Kafka, nach Meinung vieler Experten, ein Leben lang zu schaffen machen sollte. Die Kinder erhielten eine gute Schulbildung und Franz Kafka begann nach dem Schulabschluss diverse Studiengänge, bis er sich schließlich auf ein Jura-Studium festlegte, das er in Prag absolvierte. Sein Geld verdiente er anschließend mit dem von ihm als „Brotberuf“ bezeichneten Büro-Job bei verschiedenen Versicherungsanstalten. Obwohl er mehrfach befördert wurde, waren diese Anstellungen für Franz Kafka nur Mittel zum Zweck. „Mein Dienst ist lächerlich und kläglich leicht … ich weiß nicht, wofür ich das Geld bekomme“, schrieb er einmal an seine enge Freundin und spätere Geliebte Milena Jesenská. Die Arbeit im Büro lastete schwer auf ihm, die Bürostunden empfand er als „Druck“, sie vergingen ihm zu langsam und hielten ihn von dem ab, was er wirklich tun wollte. Die Nächte verbrachte er dann schreibend – ganz in seinem Element und seiner Natur folgend. Ab 1909 veröffentlichte er einige wenige seiner Bücher, zuerst „Ein Damenbrevier“.
Zeit seines Lebens war der große Literat von Selbstzweifeln geplagt und litt unter seiner schwachen Gesundheit. Neben der übermächtigen Figur des Vaters empfand Kafka Selbsthass, war introvertiert und überaus selbstkritisch. 1917 wurde bei ihm Lungentuberkulose diagnostiziert. Nach der Diagnose bat er um Pensionierung, doch die Versicherungsanstalt weigerte sich, dem Antrag stattzugeben und ließ ihn weitere 5 Jahre arbeiten. Er verstand die Krankheit als Zeichen, „nicht mehr heiraten zu sollen“ und löste 1917 die Verlobung mit Felice Bauer. Das war ein stetig wiederkehrendes Muster in den Beziehungen von Franz Kafka: Im innigen Briefwechsel näherte er sich der Frau mit schönen Worten und leidenschaftlichen Selbstoffenbarungen an, um ihr Herz zu gewinnen, doch hatte sich eine imaginierte – und letztendlich nur auf dem Papier vorhandene – Intimität eingestellt, zerstörte er sie durch wachsende Selbstzweifel und den unvermeidlichen Rückzug. Daran scheiterten auch die späteren Liebesbeziehungen mit Julie Wohrzyek und mit Milena Jesenská. Heute gilt Franz Kafka als Stereotyp des „Junggesellen der Weltliteratur“. Einzig die Kindergärtnerin Dora Diamant schaffte es, ein dauerhaftes persönliches Verhältnis zu ihm aufzubauen. Sie pflegte ihn bis zu seinem Tode 1924 im Sanatorium Kierling bei Klosterneuburg.
War Kafka zu Lebzeiten kaum bekannt gewesen, änderte sich dies mit der posthumen Veröffentlichung seiner Texte schlagartig. Franz Kafka selbst hatte verfügt, dass seine Texte nach seinem Tode samt und sonders vernichtet werden sollten. Auch das war wieder Ausdruck der Skepsis des Künstlers gegenüber seinem eigenen Werk. Doch nach dessen Tode fand man bei „genauerem Suchen“ eine Verfügung, in der es hieß: „Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. (Die paar Exemplare der ‚Betrachtung‘ mögen bleiben, ich will niemandem die Mühe des Einstampfens machen, aber neu gedruckt darf nichts daraus werden.) Wenn ich sage, daß jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, daß ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.“
"Das Buch ist die Axt für das gefrorene Meer in uns." - Franz Kafka
Deutlich klingen die für Kafka typischen Selbstzweifel durch, doch für seinen langjährigen Freund und Nachlassverwalter Max Brod war das Anlass genug, die großen Werke vor der Vernichtung zu bewahren und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen – mit durchschlagendem Erfolg, wie wir heute wissen: Franz Kafka gilt heute als einer der wichtigsten europäischen Schriftsteller aller Zeiten und seine unnachahmliche, eigene Art zu schreiben wird heute nach ihm als „kafkaesk“ bezeichnet.
Hier finden Sie unsere Buchtipps zu Franz Kafka:
- Amerika
- Brief an den Vater
- Das Schloß
- Der Prozess
- Die Verwandlung
- Franz Kafka
- Franz Kafka - Gesammelte Werke
- In der Strafkolonie
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