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David Lagercrantz

David Lagercrantz hat mit 'Verschwörung' den Job seines Lebens ergattert. © Magnus Liam KarlssonDavid Lagercrantz (Jahrgang 1962) ist ein schwedischer Autor, dessen größte literarische Leistung bis 2015 darin lag, dass er als Ghostwriter die Autobiographie des schwedisch-bosnischen Fußballprofis Zlatan Ibrahmiovic, "Ich bin Zlatan: Meine Geschichte", geschrieben hat – bis er die Fortsetzung der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson veröffentlichte. Stieg Larsson, der 2004 im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt starb, hatte drei spektakuläre Krimis um den düsteren Racheengel Lisbeth Salander veröffentlicht, die weltweit zu Bestsellern wurden und das Genre der Schwedenkrimis revolutionierte. Doch Larsson hinterließ auch ein Manuskript von etwa 200 Seiten, das der vierte Teil der insgesamt auf zehn Bände angelegten Serie werden sollte. Mit der Ehre aus diesem Manuskript einen vierten Band der Reihe zu verfassen, wurde schließlich David Lagercrantz betraut, dessen Buch über Zlatan Ibrahmiovic eines der meistverkauften Bücher in der schwedischen Verlagsgeschichte war.

Ein großer Vertrauensvorschuss der Larsson-Erben – und ein vollkommener Fehlgriff aus Sicht der Lebensgefährtin des verstorbenen Autors, Eva Gabrielsson. Denn eines ist sicher: Unterschiedlicher hätten Stieg Larsson und David Lagercrantz kaum sein können. Während Larsson dem Arbeitermilieu entstammt und zeitlebens ein überzeugter Kommunist war, ist Lagercrantz der Spross einer intellektuellen schwedischen Adelsdynastie. Sein Vater, Olof Lagercrantz, war einer der einflussreichsten Literaturkritiker Schwedens und lange Zeit versuchte der Sohn alles, um dem berühmten Vater nachzueifern. „Ich war sein jüngster Sohn“, zitiert ihn das Magazin Stern. „Eine ganze Zeit lang wollte ich sein wie er. Er war ein Gott für mich. Ich las Dante und Joyce. Aber ich verstand irgendwann, dass ich nicht den gleichen Weg gehen konnte.“ Seine Kindheit war von enormem Druck geprägt. „Zu Hause galt als Leitfigur das Genie, das nah am Wahnsinn siedelt“, schreibt Stephan Maus im Stern über die Familie Lagercrantz. „Depressionen und Geisteskrankheiten bestimmten das Selbstverständnis dieser Dynastie.“

David Lagercrantz selbst ist anders. Sein Schreibstil ist kontrolliert. Auch darin unterscheidet er sich stark von Stieg Larsson, dessen Stil deutlich erkennen ließ, dass die Worte wie im Fieberwahn in langen, dunklen Nächten hingeworfen worden waren. Er schrieb im Wahn, schwelgte in düsteren Obsessionen und archaischen Rachefantasien und scherte sich weniger um den Stil, als darum, seine Visionen zu Papier zu bringen. Lagercrantz ist da ganz anders: eher ein literarischer Musterschüler, der seine Story und seine Charaktere am Reißbrett erstellt, der an den Sätzen feilt und seine Handlungsstränge konsequent zu Ende führt. All das war Larsson fremd. Lagercrantz nahm sich die Thriller vor, ging sie systematisch durch, suchte nach losen Enden und Charakteren, deren Weiterentwicklung sich lohnen würde, entrümpelte das Dickicht der düsteren Handlung von Stieg Larsson und mischte ihr eine gehörige Portion Hoffnung bei. Währen der überzeugte Kommunist Larsson nämlich sicher war, dass den Institutionen nicht zu trauen sei, gibt es bei Lagercrantz auch in jeder noch so korrupten Institution einen Funken Hoffnung, ein kleines Widerstandsnest, eine Spur Menschlichkeit. Zum Grundgedanken der Millennium-Reihe steht das in einem deutlichen Kontrast. Kein Wunder, dass Eva Gabrielsson nicht wohl dabei war, das Werk ihres Lebensgefährten in den Händen dieses Mannes zu sehen.

Dennoch zögerte der keinen Augenblick lang, als er das Angebot bekam. Nur wenige Tage nachdem er den Vertrag unterschrieben hatte, kam ihm die zündende Idee für den vierten Band der Millennium-Reihe. Er schrieb die Geschichte über das autistische Kind, das der einzige Zeuge eines Verbrechens ist, an seinem Schreibtisch in einer „aus Ziegelsteinen gemauerten Enklave inmitten der weiten Wohlfühllandschaft in luftigem Schweden-Design. Lagercrantz hat sich im Zentrum seiner Wohnung eine geschützte Schreibgrotte mit gotischen Spitzbogenfenstern mauern lassen“, schreibt der Stern. „Im Schutze dieser Krypta stehen ein abgewetzter Ledersessel und ein Schreibtisch mit vier Computern.“ „Verschwörung“ habe er auf einem Laptop ohne Internetzugang verfasst. Einerseits natürlich, um das Manuskript vor Cyber-Spionage zu schützen, aber andererseits auch, um sich von der großen Vorlage und den Erwartungen der Larsson-Fans zu lösen. Und davon gab es nicht wenige. Der Druck war enorm – und auch die Kritik ließ nicht auf sich warten.

Die schwedische Krimikritikerin Lotta Olsson nannte „Verschwörung“ von David Lagercrantz „literarischen Vampirismus“. Im Stern erinnert sich der Autor: „Es war ein so sensibles Thema in Schweden. Es gab verrückte Überschriften – als sei der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Man griff mich an: „Wie können Sie bloß? Bla, bla, bla…“ Ich hatte solche Angst. Ich musste ein gutes Buch schreiben. Ich schlief nicht gut.“ Doch es ist ihm schließlich gelungen, allen Vorbehalten der Lebensgefährtin von Stieg Larsson, allen Kritikern und Moralaposteln zum Trotz, das Buch fertig zu stellen. Es erschien 2015 gleichzeitig in 27 Ländern weltweit und schoss überall auf die Bestseller-Listen. Die schwedische Tageszeitung „Dagens Nyheter“ druckte sein Porträt über die gesamte Titelseite und zitierte seitenweise aus seinem Schreibtagebuch. Und so scheint es, als hätte die Geschichte von David Lagercrantz und der Millennium-Trilogie doch noch ein gutes Ende für alle Beteiligten genommen. Außer für Larssons Lebensgefährtin Eva Gabrielsson, die dabei bleibt: „Alles ist einfach nur falsch.“

Das scheint auch David Lagercrantz selbst erkannt zu haben, glaubt Stephan Maus vom Stern, der zwar findet „Der Plot schnurrt zuverlässig wie ein Volvo“, der aber auch sieht, dass sein Unterbewusstsein „bei aller kontrollierten Meisterschaft […] dem Autor heimlich die Feder geführt zu haben“ scheint. „Seine Handlung kreist um die fragile Identität geistigen Eigentums […] Je mehr man in „Verschwörung“ eintaucht, desto unrechtmäßiger erscheint einem die Fortsetzung der Saga gegen den Willen von Eva Gabrielsson. So macht sich der Autor seinen eigenen moralischen Prozess.“ Aber ob der Roman nun eine Daseinsberechtigung hat, oder nicht: Er ist da und er ist ein Bestseller. Es lohnt sich, sich seine eigene Meinung zu machen. Wir fanden, dass er – unabhängig von den Vorgängerromanen – ein gut erzählter Krimi ist. David Lagercrantz mag kein Stieg Larsson sein, aber er hat einen guten Thriller geschrieben. Und deshalb ist „Verschwörung“ für uns ein Buchtipp.

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