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Harper Lee

Harper Lee galt lange Zeit als One-Hit-Wonder. (c) Michael BrownHarper Lee (Jahrgang 1926) war eine US-amerikanische Schriftstellerin, die für ihren Klassiker „Wer die Nachtigall stört“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden ist. Das Buch ist ein Glanzstück der Toleranz und Zivilcourage, das Werk einer wahren Menschenfreundin und ein Appell für Menschlichkeit und Gleichberechtigung. Inzwischen zählt es zur Pflichtlektüre an amerikanischen Schulen und vermittelt eindringlich, was Rassenhass und Diskriminierung für die Menschen, die ihnen zum Opfer fallen, bedeuten. In seiner Wirkungskraft steht „Wer die Nachtigall stört“ auch großen amerikanischen Südstaaten-Klassikern wie „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ in nichts nach. Ähnlich wie auch Mark Twain bediente sich Harper Lee darin der aufklärerisch-naiven Perspektive eines Kindes, um ein schwieriges Erwachsenenthema aufzugreifen. Aus der Sicht der 7-jährigen Scout Finch erleben wir mit, wie einem Farbigen der Prozess gemacht wird, der die Tochter eines weißen Bauern vergewaltigt haben soll. Scouts Vater, der Rechtsanwalt Atticus Finch, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Mann zu verteidigen, dessen Aussichten auf Gerechtigkeit von Anfang an sehr gering erscheinen. Als dann der Klient auch noch ermordet wird, scheint es kein Halten mehr zu geben.

Mit einem feinen Gespür für Stimmungen und Gefühle lässt Harper Lee in ihrem Meisterwerk unterschiedliche Moralcodes aufeinanderprallen. Es gab wohl zu jener Zeit kein größeres rassistisches Klischee: der schwarze Mann, der die weiße Frau vergewaltigt. Ihm tritt ein einziger, mutiger Mann entgegen, Atticus Finch, ein toleranter und aufrechter Mensch, der glaubt, man müsse in die Haut des Anderen schlüpfen, um ihn verstehen – und vor Gericht verteidigen – zu können. Durch seine Erziehung wird aus Jean Louise „Scout“ Finch eine starke, selbstbewusste und tolerante Südstaatenfrau, ein Leitbild, das Harper Lee all ihren Lesern vor Augen halten will. Kein Wunder, dass das Buch einschlug wie eine Bombe. Schon ein Jahr nach seinem Erscheinen erhielt Harper Lee dafür den Pulitzer-Preis, die höchste literarische Auszeichnung der USA. Die Verfilmung durch Robert Mulligan, mit Gregory Peck in der Rolle des Rechtsanwalts, im Jahr 1962 verhalf der Geschichte zu weiterem Aufschwung und vergrößerte den Wirkungsgrad dieses außergewöhnlichen Romans. Insgesamt 3 Oscars erhielt der Film auf der Romanvorlage von Harper Lee. Seither wurde das Buch in mehr als 25 Sprachen übersetzt und erfreut sich noch immer andauernder Beliebtheit und Bewunderung.

Harper Lee alt (c) Christy Bowe, ZUMA Press, CorbisZum 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung (2010) erlebte das Buch noch einmal einen enormen Hype. Zu diesem Zeitpunkt hatte Harper Lee bereits einen Schlaganfall hinter sich und war gesundheitlich stark angeschlagen. Zwei Jahre später verklagte Lee dann ihren Agenten, weil er sich, als sie nicht zurechnungsfähig war, eine Unterschrift von ihr erschlichen haben soll, mit der alle Lizenzrechte ohne jede Gegenleistung an ihn übertragen wurden. Gerichtsverhandlungen ziehen sich also wie ein roter Faden durch Lees Leben. Ihr Vater war, wie auch Atticus Finch, Rechtsanwalt und Politiker in Alabama. Die autobiografischen Anklänge des Romans sind also nicht zu übersehen. Später studierte Lee selbst Rechtswissenschaften, interessierte sich aber bald mehr für die menschlichen Dramen hinter den Fällen als für die Paragrafen und Artikel. So gab sie 1948 das Studium endgültig auf und wandte sich dem Schreiben zu. Es brauchte zwei Anläufe, bis sie um die Geschichte eines Gerichtsfalls aus dem Jahre 1933, in dem die Vergewaltigung einer Weißen durch einen Schwarzen verhandelt wurde, einen Roman gestrickt hatte, der sich veröffentlichen ließ.

Lange Zeit hieß es, „Wer die Nachtigall stört“ sei Harper Lees einziger Roman gewesen. Es folgten zwar noch einige Essays, Artikel und Kurzgeschichten, doch alles, was danach kam, stand immer im Schatten des großen Südstaaten-Romans. 2014 dann die literarische Sensation: Eine Freundin der Autorin fand das verschollen geglaubte Manuskript eines Romans, den Harper Lee noch vor ihrem Bestseller veröffentlicht hat: „Gehe hin, stelle einen Wächter“. Zeitlich ist er 20 Jahre nach „Wer die Nachtigall stört“ angesiedelt. Das erlaubt es Lesern aus aller Welt, noch einmal auf die beliebte Figur Jean Louise Finch zu treffen und mit ihr nach Maycomb zurückzukehren. Eine einmalige Gelegenheit, die man sich in der Weltliteratur vielleicht des Öfteren gewünscht hätte. Kein Wunder, dass auch „Gehe hin, stelle einen Wächter“ von Harper Lee sofort zum Bestseller wurde und Lee-Fans in aller Welt begeisterte.

Zu den zahlreichen Auszeichnungen, die Harper Lee für „Wer die Nachtigall stört“ erhielt, gehört neben dem begehrten Pulitzer-Preis auch die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten, die ihr 2007 überreicht wurde. Harper Lee lebt heute sehr zurückgezogen in New York und Monroeville, wo sie schon als Kind ihre Sommerferien verbrachte und auch den gleichaltrigen Schauspieler, Schriftsteller und Drehbuchautor Truman Capote kennenlernte, der bis zu seinem Tode 1984 behauptete, dass ein Großteil des Bestsellers von ihm stammte.

Harper Lee verstarb am 19. Februar 2016.

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