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Gertrude Stein

"Einstein war der schöpferische philosophische Geist des Jahrhunderts und ich bin der schöpferische literarische Geist des Jahrhunderts“, schrieb Gertrude Stein über sich. Was klingt wie maßlose Selbstüberschätzung ist aber nichts dergleichen. Als „Mutter der verlorenen Generation“ in Paris war sie die Initiatorin eines literarischen Salons, dessen Mitglieder mit ihren Werken maßgeblich zur Weltliteratur beigetragen haben. Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, James Joyce und Thomas Eliot sind nur einige der bekannteren Namen dieses erlesenen Zirkels von Schriftstellern. Es ist aber nur einer von vielen großen Verdiensten, die man Gertrude Stein zuschreiben muss, dass sie diese Schriftsteller zusammenbrachte. Ein zweiter ist, dass sie auch selbst Werke verfasste, die die Zeit überdauern sollten. Zugegeben ihr experimenteller, avantgardistischer Schreibstil ist Gewöhnungssache und man muss mitunter einige Geduld aufbringen, wenn man das Genie hinter ihren Texten erkennen und verstehen möchte, doch dann entfaltet sich eine sprachliche Pracht vor dem Leser, die ihres Gleichen sucht.

„Die Welt ist rund“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ursprünglich als Auftragsarbeit für ein Kinderbuch begonnen, hat Gertrude Stein daraus ein Werk der Weltliteratur gemacht. Die Zeitung „Die Welt“ schreibt: „Die Worte purzeln wie aus einem Füllhorn, gruppieren sich, weitgehend ungestört von Interpunktion, nach ihrem Klang, erscheinen in immer neuen Farbvariationen.“ Und tatsächlich ist dieses Buch Seite für Seite ein Wirbel aus Farben und Klängen, in dem das Wort – und nicht die kleine Rose – die Hauptrolle spielt. „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“ ist der wohl berühmteste Satz aus diesem Werk von Gertrude Stein. Ein Satz, der in die Unendlichkeit klingt, weil man ihn bis dahin fortsetzen könnte. Geschrieben wurde das Buch 1938 in Paris, wo Gertrude Stein mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas lebte. Toklas ist auch der heutige Ruhm dieses Zitats zu verdanken. In den 20er Jahren breitete sich der ungewöhnliche Gedanke wie ein Lauffeuer aus und wurde zum universellen Satz, der sich bei jeder Gelegenheit anbringen ließ. Gemeinsam lebte das Paar in der heute berühmten Adresse der Rue de Fleurus 27, die in jedem Reiseführer für Paris Erwähnung findet. Geboren wurde Gertrude Stein jedoch 1874 im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania - in eine, wie sie selbst sagt wohlhabende und „hochachtbare bürgerliche Familie“. Sie stammte von aus Deutschland emigrierten Juden ab und wuchs in Kalifornien auf. Schon in ihrer frühesten Kindheit reiste sie nach Wien und Paris, die Stadt, die sie später so nachdrücklich prägen sollte. Dem fortschrittlichen Geist ihrer Familie ist es zu verdanken, dass Gertrude Stein das College besuchen und Biologie und Philosophie in Harvard studieren konnte. Dort lernte sie auch den Psychologen und Philosophen William James kennen, zu dessen engeren Kreis sie bald gehörte. Seine Theorie vom Bewusstseinsstrom, dem „Stream of Consciousness“ sollte ihr späteres Wirken nachhaltig beeinflussen. Von dessen Bruder, Henry James, der den „Bewusstseinsstrom“ zum erzählerischen Prinzip machte, ließ sich Stein genauso inspirieren wie auch James Joyce und Virginia Woolf, die man heute, als wichtige Vertreter der Moderne, oft in einem Atemzug mit Gertrude Stein nennt.

1903 folgte sie ihrem Bruder Leo Stein, mit dem sie eine enge Beziehung verband, nach Paris, wo die Geschwister ihren literarischen Salon eröffneten. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er sich zu einem Zentrum der schriftstellerischen und malerischen Avantgarde in dieser Stadt, die vor kreativer Energie nur so zu pulsieren schien. Sie kauften aus Leidenschaft für die Kunst Bilder damals noch unbekannter Künstler, deren Namen uns heute allzu vertraut sind: Cézanne, Monet, Renoir, Daumier, Matisse und Gauguin. Pablo Picasso gehörte genauso zu ihrem engeren Kreis, wie Félix Vallotton. Beide durften Gertrude Stein porträtieren – mit unterschiedlichem Erfolg. Aber auch Sammler und Kunstkritiker gingen bei Stein und ihrem Bruder ein und aus. Der Begriff „Lost Generation“ (Verlorene Generation), den sie Anfang der 1920er Jahre prägte, bezieht sich auf die Generation junger Schriftsteller aus Amerika, die während und nach dem Ersten Weltkrieg nach Paris kamen und sich hier den literarischen und künstlerischen Zirkeln der Avantgarde anschlossen. Zu Steins Zirkel gehörten neben Ernest Hemingway auch Sherwood Anderson, T. S. Eliot und F. Scott Fitzgerald. alle selbst bedeutende Autoren der amerikanischen Literatur.

Ihr eigenes schriftstellerisches Talent wurde lange Zeit verkannt. Es war beinahe unmöglich, einen Verlag für ihre Werke zu finden, und so gründete ihre Lebensgefährtin Alice B. Toklas selbst einen Verlag, um die Bücher von Gertrude Stein, darunter auch „The Making of Americans“ zu vermarkten. „Autobiographie of Alice B. Toklas“ wurde dann auch Steins erfolgreichster Roman. Während des Zweiten Weltkrieges harrten Toklas und Stein zunächst in ihrem Ferienhaus in Bilignin, den Rhône-Alpes aus. Obwohl es ihnen eindringlich ans Herz gelegt wurde, weigerten sich beide, in die USA zurückzukehren, um dem Schicksal zu entgehen, dass bereits 13.000 französischen Juden erfahren hatten. Mit Glück und guten Beziehungen zum Vichy-Regime überstanden sie die deutsche Besatzungszeit unbehelligt, was nicht zuletzt auch dem Protektorat von Bernard Faÿ zu verdanken ist, dem Direktor der Nationalbibliothek in Paris und einem guten Freund von Gertrude Stein. Im Dezember 1944 kehrten Gertrude Stein und Alice B. Toklas nach Paris zurück. Zwei Jahre später starb sie hier am 1. September 1946 an Magenkrebs. Toklas setzte anschließend alles daran, Steins noch unveröffentlichte Werke zu veröffentlichen und setzte ihr damit das Denkmal, das sie verdient hatte. War ihr schöpferischer literarischer Geist, wie Gertrude Stein ihn selbst genannt hatte, lange verkannt worden, so wird sie heute posthum neben den anderen großen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts genannt und für ihre Arbeit bewundert.

Das Verhältnis der beiden Frauen wird interessant beleuchtet von Janet Malcolm in ihrem Buch "Zwei Leben: Gertrude und Alice".

Wir empfehlen folgende Bücher von Gertrude Stein:

Lesen Sie mehr über Gertrude Stein und die anderen Frauen von der Left Bank: "Paris war eine Frau: Die Frauen von der Left Bank" von Andrea Weiss.

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