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Dimitri Verhulst

Dimitri Verhulst schreibt außergewöhnliche Romane und nennt die Dinge beim Namen. © Stephan von FleterenDimitri Verhulst (Jahrgang 1972) muss sich, wenn man der einstimmigen Meinung der Kritiker glaubt, nicht vor flämischen Schriftstellergrößen wie Louis Paul Boon und Hugo Claus verstecken. Spätestens seit seinem wunderbar aufrichtigen Roman „Die Beschissenheit der Dinge“ zweifelt in Flandern und darüber hinaus niemand mehr daran, dass dem belgischen Schriftsteller eine große Zukunft bevorsteht. Aufrichtigkeit ist dann auch eine der Besonderheiten seines Schreibstils, die sich dem Leser förmlich aufdrängt. Dimitri Verhulst nennt die Dinge beim Namen, beschönigt sie nicht. Die kleine Nuance des Zaubers, die über seinen Geschichten liegt, entstammt der Poesie des Alltags selbst und zeigt sich manchmal erst, wenn man den Schleier der tristen Belanglosigkeiten hebt. Dimitri Verhulst versteht sich in dieser Kunst und bezaubert so seine Leserschaft.

„Die Beschissenheit der Dinge“ schildert auf diese Weise ein Leben zwischen Sozialamt, Kneipe, Küche und Klo, den Eckpfeilern des Lebens, das Dimmetrieken mit seiner Großmutter in dem flämischen Dorf Reetveerdegem führt. Trinkwettbewerbe, Sauflieder und Schlägereien sind die Höhepunkte ihres Daseins. Eine Zukunft gibt es nicht. Da ist Dimitri Verhulst gänzlich schonungslos. Er darf es aber auch sein, schließlich ist es seine eigene Geschichte, die er in „Die Beschissenheit der Dinge“ in eine Poesie verwandelt, die zu lesen sich wirklich lohnt. Deshalb wurde das Buch auch für den „AKO-Literaturpreis“ nominiert und mit dem Publikumspreis „Goldene Eule“ ausgezeichnet. 2009 nahm sich der belgische Regisseur Felix Van Groeningen des Stoffs an und verfilmte den Roman.

2014 knüpfte Dimitri Verhulst an den Erfolg seines autobiografischen Werkes an und veröffentlichte eine Geschichte mit dem ungewöhnlichen Titel „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“. Auch hier zeichnet Verhulst wieder ein Leben, das so trostlos wirkt, dass sogar die Aussicht auf einem ruhigen Lebensabend als Demenzpatient im Pflegeheim verlockend dagegen erscheint. Genau so geht es nämlich Désiré, der sein ganzes Leben als langweilige, vorgezeichnete Existenz ins Grab hinein betrachtet, stets gefoltert von seiner keifenden, lieblosen Ehefrau Moniek, die ihm auch noch die letzte Selbstachtung raubt. Dimitri Verhulst mit einer SchreibmaschineUnd so beschließt er, dessen Gedächtnis ihn während seiner 38-jährigen Tätigkeit als Bibliothekar, in einer Zeit, „in der die ersten Karteikästen von noch primitiven, monströsen Computern abgelöst wurden, man also noch größtenteils auf die biologisch abbaubare Datenbank zwischen den Ohren angewiesen war“, nie im Stich gelassen hatte, das allmähliche Zerbröseln zu simulieren. „Langsam, mit einer gewissen Schönheit, aber unerbittlich. Altern und gleichzeitig im von mir erzeugten Nebel verschwinden. Mich nach und nach auflösen, so dass die existenzielle Nacht schließlich fast unbemerkt über mich käme.“ Für Désiré ist dieser Ausweg so verlockend wie alternativlos – und er ist davon überzeugt, ein Recht darauf zu haben.

So ungewöhnlich diese Geschichte auch ist, so deutlich zeigt sie auch die schriftstellerische Größe von Dimitri Verhulst, der sie einem so plausibel und liebenswürdig verkauft, dass man ihr nur zu gerne folgt. Geschickt umschifft er dabei die Gefahr, geschmacklos zu werden und jene zu verhöhnen, die – entweder direkt oder durch einen Angehörigen – tatsächlich von Demenz betroffen sind. Stattdessen gelingt es Verhulst, für ein Altern in Würde und Selbstbestimmung zu plädieren. „Wenn es Lebenskunst gab, musste es auch Sterbenskunst geben“, lässt er Désiré sinnieren und räumt damit jedem die Möglichkeit ein, selbst über seinen Lebensabend zu entscheiden. Und auch darüber, wann und wie er aus dem Leben aussteigen möchte. Ein höchst aktuelles Thema – bezaubernd aufbereitet.

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