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Achtsamkeit: Bewusst leben im Hier und Jetzt

 

Im Yoga-Kurs sagt die Lehrerin häufig Dinge, wie: „Seid achtsam mit euch selbst. Bleibt ganz bei eurem Atem. Euer Atem ist der Anker im Moment, denn ihr könnt nicht voratmen und ihr könnt auch keinen verpassten Atem nachholen. Atmen ist immer im Moment.“ In dieser ganz einfachen Anweisung findet sich das tiefe Wesen der Achtsamkeit. Ein Konzept, das in seinem Grundgedanken so simpel ist und dabei für die meisten von uns so schwer umzusetzen. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein bedeutete achtsam sein für die meisten Menschen nämlich nichts anderes, als dass sie auf der Hut waren, vorbereitet, gewarnt. Doch das Wesen der Achtsamkeit, wie sie inzwischen zum Modewort geworden ist, geht viel tiefer. Achtsamkeit heißt – wenn man es ganz einfach herunter bricht – nichts anderes, als dass man auf die Dinge achtet, die einen umgeben, die mit einem geschehen, die man empfindet, riecht oder schmeckt. Achtsamkeit heißt, den Dingen Achtung schenken, sie bewusst wahrnehmen, ihnen im Kopf Raum einräumen – und dadurch in den Moment finden.

 

Das fällt uns heutzutage nicht leicht, wo wir mit den Gedanken schon häufig mit dem nächsten Punkt auf der Tagesordnung beschäftigt sind, während wir gerade noch dabei sind, den letzten abzuarbeiten. Stehen wir am Morgen unter der Dusche, überlegen wir schon, was wir anziehen, was wir zum Frühstück machen, was wir den Kindern für die Pause in die Brotbüchse legen, welchen Bus wir am besten zur Arbeit nehmen, wo Staus sind, die wir umfahren sollten, und welcher Anruf am Morgen als erstes erledigt, welche Emails zunächst beantwortet werden müssen. Wir sind nicht im Hier und Jetzt. Wir ignorieren dabei, dass das Wasser herrlich warm auf unsere Haut prasselt, dass es uns wohlige Schauer über den Rücken jagt, Gänsehaut hervorruft, wenn die Haut noch verschlafen ist und langsam zum Leben erwacht. Wir nehmen den herrlichen Duft des Duschbades nicht wahr, das wir eigentlich eigens dafür gekauft haben; wir verweigern uns dem rein sinnlichen Genuss des Duschens vollkommen. Beim Frühstück kämpfen wir uns durch die Zeitung, um nur ja nichts zu verpassen, lesen ein Buch, schauen Fernsehen, können es nicht ertragen, nichts zu tun.

 

Das tiefe Wesen der Achtsamkeit


Deshalb fliegen uns die Tage nur so unter den Händen davon. Wo ist die Zeit geblieben, fragen wir uns dann. Wie passend erscheint es da, dass Marcel Proust in seinem Klassiker der Weltliteratur, „Die Suche nach der verlorenen Zeit“, den Gedanken der Achtsamkeit so wunderbar zusammenfasste: „Gewöhnlich leben wir mit einem auf das Minimum reduzierten Teil unseres Wesens, die meisten unserer Fähigkeiten wachen gar nicht auf, weil sie sich in dem Bewusstsein zur Ruhe begeben, dass die Gewohnheit schon weiß, was sie zu tun hat, und ihrer nicht bedarf.“ Wir spulen also täglich ein vorgefertigtes Programm ab, bewegen uns sicher in der Routine, greifen auf abgespeichertes zurück, ohne uns den eigentlichen Moment zu vergegenwärtigen. Die Tage werden austauschbar, wir nehmen ihre Besonderheiten nicht wahr, lassen sie passieren und vorbei ziehen, werden zu Marionetten und fühlen uns am Ende leer, ausgelaugt und unbefriedigt. Die großen Geister haben das zu allen Zeiten gewusst. Dem russischen Schriftsteller Lew Tolstoi wird beispielsweise ein Zitat zugerechnet, das wir uns hier zu Herzen nehmen sollten: „Denke immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt. Heute. Hier. Jetzt.“

Denn es gibt im Lärm und in der Hektik des Alltags so viele kleine Dinge, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten könnten, die unsere Achtsamkeit verdient haben: der Duft des frischen Kaffees, der belebend aus der Tasse zu uns herüber weht, das Aroma des Toastbrotes, die Süße der Marmelade, das kernige Bersten des Brotes, wenn wir darauf beißen, die Konsistenz der Marmelade auf der Zunge, die Säure des Apfels oder das beständige Gefühl der hölzernen Tischplatte oder des gestärkten Tischtuches unter unseren Händen. Diese Dinge nehmen wir in der Regel nicht (mehr) bewusst wahr. Achtsamkeit ist nämlich eine Frage der Übung. So, wie wir gelernt haben, effizient zu sein, zielgerichtet zu arbeiten, die nächsten Schritte voraus zu planen, uns für das zu wappnen, was als nächstes ansteht, so müssen wir die Achtsamkeit erlernen, uns beibringen, wie wir die Aufmerksamkeit und Empfindungen auf die Dinge im Hier und Jetzt lenken – vollkommen wertfrei, vollkommen unvoreingenommen, ohne jede Erwartungshaltung. Dinge achtsam wahrnehmen, nur um ihrer selbst Willen, das ist die große Herausforderung der Achtsamkeit. Und das ist wesentlich schwerer, als man im ersten Moment annehmen könnte.

 

Achtsamkeit mit Yoga erlernen und praktizieren


Obgleich Achtsamkeit an sich kein spirituelles Konzept ist, beinhalten die meisten esoterischen und religiösen Ansätze Überlegungen dazu, wie man den Geist im Hier und Jetzt zu halten lernt. Im Yoga heißt es, nur wer ganz im Moment ist, in sich ruht, der kann die Erleuchtung finden. Das Kernstück des sogenannten Raja Yoga, des Königlichen Yoga, ist der achtgliedrige Pfad der Erleuchtung nach den Yoga Sutras von Patanjali. Das Ziel des Pfades ist Samadhi, der überbewusste Zustand, auch „Erleuchtung“ oder „Selbstverwirklichung“ genannt. Man spricht auch von der „Vereinigung mit der Kraft des Ishvara“ und vom „Eins-Werden mit dem Pranava“, also der Vereinigung mit dem Göttlichen. Der achtgliedrige Pfad ist der Yoga-Weg der Achtsamkeit. Er beginnt mit den Yamas, fünf Verhaltensregeln (Enthaltungen): Freundlichkeit, Zugewandtheit und Rücksichtnahme. Sei achtsam mit dir selbst und mit anderen. Es folgen die Niyamas, ebenfalls fünf Verhaltensregeln, die eher als Gebote zu verstehen sind: Genügsamkeit, Bescheidenheit, Zufriedenheit.

 

Dazu gehört auch, keine Erwartungen zu haben, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, sie anzunehmen, wenn man sie nicht ändern kann. Auch das ist ein wichtiger Bestandteil der Achtsamkeit, den man erlernen muss, denn er widerspricht unserem inneren Streben in der Regel. Auch die Achtsamkeit gegenüber den Essgewohnheiten ist Teil der Niyamas. Es folgen die Asanas, die klassischen Yoga-Übungen, an die jeder sofort denkt, wenn das Wort Yoga fällt. Sie führen Körper und Geist zusammen. In den Pranayamas erfolgt dann die eingangs erwähnte Fokussierung auf den Atem, der die Zusammenführung von Körper und Geist komplettiert. Im fünften Schritt, in Pratyahara, zieht der Yogi seine Sinne aus der Außenwelt zurück, in Schritt sechs, Dharana, konzentriert er sich nur noch auf seine Gedanken. Der vorletzte Schritt ist die Meditation, Dhyana, die auch in der regulären Yoga-Praxis immer wieder geübt werden muss. Sie ist der Inbegriff der Achtsamkeit und Voraussetzung für die Erleuchtung im achten Schritt. Wir zeigen Ihnen, wie Sie mit Büchern Meditieren lernen.

 

Tägliche kleine Übungen für das Mehr an Achtsamkeit


Während der achtgliedrige Pfad der Erleuchtung nach Patanjali ein ganzheitlicher, tiefer und spiritueller Prozess ist, der sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg zieht, kann Achtsamkeit auch kurzfristiger erlernt werden. Zen ist eine gängige Praxis, die sich vor allem unter Führungspersonen immer größerer Beliebtheit erfreut, weil sie dabei hilft, den Geist zu klären und die Linie im Chaos zu sehen. Hier finden Sie deshalb eine Vielzahl von Zen-Büchern. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ratgeber, mit denen Sie lernen können, achtsam zu sein, achtsam zu leben, achtsam zu arbeiten. Häufig sind es kleine Übungen, die Sie mehrmals täglich in Ihre routinierten Abläufe integrieren, um diese aufzubrechen, um im Moment anzukommen, um sich des Hier und Jetzt bewusst zu werden. Dazu kann gehören, dass Sie direkt nach dem Aufwachen morgens erst einmal in sich hinein hören. Wie fühlt sich jeder Teil von mir? Was machen die Haarwurzeln, der Fußballen, die Handgelenke, das Ohrläppchen? Denken Sie auch und vor allem an die Körperteile, denen Sie sonst keine Beachtung schenken – oder nur dann, wenn sie plötzlich weh tun. Konzentrieren Sie sich dann beim Duschen auf die Kleinigkeiten, halten Sie Ihre Gedanken im Moment. Wenn Sie spüren, dass Sie abdriften und schon über das Meeting am Morgen nachdenken, werden Sie sich dessen bewusst und lenken Sie die Gedanken stets sanft in den Moment zurück. Auf dem Weg zur Arbeit heben Sie bewusst den Blick vom E-Reader, Smartphone oder Buch und nehmen Ihre Umgebung vollkommen wertfrei wahr. Beobachten Sie nur, grübeln Sie nicht. Registrieren Sie und seien Sie im Moment. Wiederholen Sie das Gleiche ganz bewusst am Arbeitsplatz, legen Sie eine Pause ein, um die Dinge auf Ihrem Schreibtisch wahrzunehmen. Wahrnehmen und loslassen – das ist das Geheimnis der Achtsamkeit, die Sie wirklich überall und in jeder Situation praktizieren können. Wichtig dabei: Führen Sie die Achtsamkeitsübungen lieber häufig und kurz aus als selten und lang. Achtsam sein heißt nämlich auch, zu wissen, was der Körper braucht – sich bewusst Zeit für die Meditationsübungen zu nehmen, anstatt sie zu finden.  

 

All das lernen Sie auch in den Ratgebern zu den Themen Zen und Achtsamkeit, die wir hier für Sie zusammengestellt haben:

 

Schulen Sie Ihre Achtsamkeit mit "Die Kunst der Aufmerksamkeit: Yoga Kartenset - 54 Karten" oder üben Sie mit der Yoga-DVD "Achtsamkeit für mehr Gelassenheit im Leben".


Erhaschen Sie außerdem einen Einblick in die spirituellen Tiefen des Buddhismus. Sollten Sie merken, dass Stress, Lärm und grelles Licht sie oft überfordern, sind Sie vielleicht hochsensibel. Lesen Sie dazu: "Leben mit Hochsensibilität – Herausforderung und Gabe"

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