Impressionismus – mit Worten Bilder malen
Der Impressionismus in der Literatur (ca. 1890 – 1910) ist die deutliche Abwendung von der Literaturepoche des Naturalismus mit ihren streng realistischen, rein objektiven und möglichst naturgetreuen Beschreibungen und ihrer implizierten Gesellschaftskritik. Die Impressionisten waren das genaue Gegenteil davon: Sie waren die Kinder des „Fin de Siècle“, der Jahrhundertwende. Sie schwankten zwischen Aufbruchsstimmung und Zukunftseuphorie auf der einen und diffuser Zukunftsangst, Endzeitstimmung, Lebensüberdruss und Weltschmerz auf der anderen Seite. Sie waren fasziniert vom Tod und vom Gedanken der Vergänglichkeit und stürzten sich zugleich mit solcher Kraft in leichtlebige Vergnügen und ausschweifende Dekadenz, dass man sich an den Barock erinnert fühlt. All das spürt man auch deutlich im Impressionismus in der Literatur. Ein schönes Porträt dieser Zeit liefert übrigens "Der große Gatsby" von F, Scott Fitzgerald bzw. die Verfilmung "Der große Gatsby" mit Leonardo DiCaprio.
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Eine einheitliche Literaturepoche ist zu diesem Zeitpunkt der Literaturgeschichte schon nicht mehr zu erkennen. Parallel zum Impressionismus in der Literatur entwickelten sich weitere Gegenströmungen zum Naturalismus, etwa der Ästhetizismus, der Symbolismus, der Jugendstil und die Neuromantik. Sie alle erteilten dem Naturalismus eine Absage – und jede Strömung tat es auf ihre Weise. Es widersprach einfach dem Geist Bohemiens, sich von literarischen Gattungen oder festen Epochenmerkmalen einschränken zu lassen. Eine genaue Definition des Impressionismus in der Literatur wird damit beinah unmöglich. Einfacher wird es, wenn man einen Blick auf die impressionistische Kunst wirft. Der Impressionismus als solcher wurde nämlich in der bildenden Kunst geboren und später auf die Literatur übertragen.
Der Impressionismus in Kunst und Literatur
Hier erkennt auch das ungeübte Auge den Unterschied zwischen Naturalismus und Impressionismus sehr schnell: Während der Naturalismus um eine möglichst klare und präzise Abbildung der Realität bemüht war, setzte der Impressionismus vor allem auf Licht und Stimmungen. Pinselstriche wurden nicht gesetzt, um der Natur gerecht zu werden, sondern um Atmosphäre einzufangen und für immer zu konservieren. Betrachtet man beispielsweise das Bild, das dem Stil seinen Namen gegeben haben soll, „Impression – soleil levant“, ein Bild der aufgehenden Sonne von Claude Monet, ist das ganz leicht nachzuvollziehen: Die Sonne ist dem Horizont noch so nah, dass sie noch keinen Hof hat und stattdessen als kleiner, glutroter Feuerball hinter den Nebeln über dem Hafen von Le Havre hervorschimmert.
Es ist noch so früh am Morgen, dass sie nur einen schmalen Lichtstreifen auf das stille Wasser wirft. Man fühlt, dass es noch kühl ist, aber die Sonne lässt schon jetzt erahnen, dass es ein warmer Tag werden wird. Noch ist der Industriehafen, der sich in der Ferne abzeichnet, nicht gänzlich erwacht, doch es ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Die Fischer auf ihren Boten nutzen diese frühen Stunden, bevor das laute Leben in Le Havre beginnt. All das können wir aus diesem Bild herauslesen, von dem die Menschen damals empört behaupteten, es sei eine „Schmiererei“ und sie könnten gar nicht erkennen, was darauf überhaupt abgebildet sei. Die Wahrheit ist jedoch: Wir erkennen sogar mehr, als darauf abgebildet ist: die Stimmung und sogar Haptik und Temperatur können wir erahnen.
Worte als Pinsel für den Impressionismus in der Literatur
Weil sie nicht über Pinsel verfügten, brauchten die Literaten des Impressionismus eigene Stilmittel, um Stimmungen einzufangen. Auch ohne wollten sie Bilder im Kopf der Leser malen und mit Worten all die kleinen Details hinzufügen, die genau die Stimmung und Atmosphäre kreierten, die der Betrachter von „Impression – soleil levant“ unbewusst vermittelt bekommt. Onomatopoesie (Lautmalerei), Metapher und sprachliche Bilder erlebten in der Literatur des Impressionismus deshalb ihre Hochzeit. Lange Texte, seitenweise Beschreibungen, handlungslastige Romane und komplexe Handlungen waren die Sache der Impressionisten nicht. Hier galt: Weniger ist mehr. Markant gesetzte Worte, treffende Formulierungen, messerscharfe Adjektive, frappante Nomen und komprimierte Eindrücke in literarischen Skizzen, Gedichten, Einaktern und Novellen waren das Mittel der Wahl für den Impressionismus in der Literatur. In erlebter Rede oder inneren Monologen gelang es den Autoren des Impressionismus, die Atmosphäre und die Stimmungen zu interpretieren und den subjektiven Effekt zu verstärken.
So äußert zum Beispiel Gustav Falkes lyrisches Ich in dem impressionistischen Gedicht „Im Schnellzug“ ein leichtes Bedauern darüber, nicht bleiben zu können, neben dem „Knirps“, der „sonnt wie ein Dachs/ Sich faul bei seinen Gänsen.“ Das verleiht den Schilderungen der friedlichen Landschaft eine hauchzarte Melancholie. Zu gern würde das lyrische Ich dort bleiben, fern ab der schnelllebigen Zivilisation (so meint man), bei dem Knirps und bei der „alten Botenfrau“, die ein friedvolles Leben im Einklang mit ihrer Umwelt führen. „Back to the roots“ würde man heute sagen. Doch stattdessen „stürmt“ das lyrische Ich mit dem modernen Schnellzug durch die Landschaft und kann das „Sommerland“, die „Hütte dort in Heckenruh“ und die „Heide, blütenblau“ nur durch die Scheibe betrachten, in der sich die Sonne spiegelt. Beim Lesen dieses Gedichts aus dem Impressionismus spüren wir das freudige Staunen des Ichs über die Anblicke, die sich ihm unterwegs bieten, aber auch sein Bedauern: „O Junge, hast du´s gut! Ich wollt,/Ich läg dort auf dem Bauche,/Indes der Zug vorüberrollt,/Und gaffte nach dem Rauche.“
Leben im Moment: Impressionismus und der Erste Weltkrieg
Damit hat der Impressionismus in der Literatur sein Ziel erreicht: Er hat in unserem Kopf ein Bild gemalt und eine Stimmung erzeugt, die uns nicht kaltlassen kann. Dieser Moment im Schnellzug, niedergeschrieben im Jahr 1902, ist eingefangen für die Ewigkeit. Falke, wie alle Autoren des Impressionismus, ignorierte dabei in seiner rein subjektiven Wahrnehmung die dunklen Schatten, die der Erste Weltkrieg schon unheilvoll vorauswarf. Sozialkritik oder politischen Kontext suchen wir in diesen Texten umsonst. Der Impressionist möchte sich in seiner Literatur nicht mit diesen Dingen beschäftigen. Vielleicht ahnt er, wohin sie führen… Stattdessen möchte er den Moment einfangen, ihn mit allen Sinnen und jeder Faser seines Körpers leben und wahrnehmen. Der Impressionismus in der Literatur wurde damit zum Ausdruck des fiebrigen Lebenshungers, den die Künstler und Bohemiens des „Fin de Siècles“ empfanden. Das Morgen spielt keine Rolle, nur der Moment allein ist wichtig. Im Anbetracht der heran rollenden Katastrophe des Ersten Weltkriegs, war das nur zu verständlich – und ist bis heute für uns nachvollziehbar.
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