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Das Drama als Ausdruck höchsten Genies

 

Genie führt in einem Drama RegieDer große Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe schrieb über das Drama: „Ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfang der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhaft-klare Einbildungskraft vorgetragen werden.“ Goethe selbst besaß von diesem Genie zu Genüge. Mit „Iphigenie auf Tauris“ und seinem „Faust“ setzte er ganz neue Maßstäbe in der dramatischen Literatur. Vielen Dramatikern gelten seine Werke deshalb noch heute als Vorbild. So zum Beispiel Yasmina Reza, der weltweit erfolgreichsten Dramatikerin unserer Zeit. Von ihrem Vater erbte die Französin die Begeisterung für die deutsche Sprache, Kunst und Kultur sowie die Hochachtung vor den großen Dramatikern Schiller und Goethe.  

 

Reza weiß genau um die Herausforderungen der Gattung Drama, doch sie weiß sie auch zu meistern – und zu schätzen. „Wenn man sich beim Schreiben nicht früh genug auf gewisse Dinge konzentriert, verwandelt sich die totale Freiheit schnell in Seenot. Deshalb mag ich Vorgaben […]. In der Schule wurde uns manchmal die Aufgabe gestellt, eine Geschichte mit einer bestimmten Anzahl Wörtern, einer bestimmten Anzahl Figuren und einem einzigen Schauplatz zu erfinden – ich liebte das“, sagte sie gegenüber der ZEIT. „Das moderne Theater ist gewissermaßen der Gipfel an Vorgaben, das Königreich der Konzentration. Sie können nicht 400 Leute auf die Bühne stellen, Sie können nicht kommentieren, was die Figuren sagen, nicht korrigieren, was sie denken, Sie verfügen nur über begrenzte Zeit. Die Kunst besteht darin, innerhalb dieses fixen Rahmens die größtmögliche Phantasie zu entwickeln.“

 

Das besondere Wesen des Dramas


Das sahen schon andere Dramatiker vor ihr so, etwa Friedrich Dürrenmatt, der das Drama mit Schach verglich. „Stückeschreiben ist wie Schach“, sagte er. „Bei der Eröffnung ist man frei; dann bekommt die Partie ihre eigene Logik.“ Durch die Anlage der Figuren ist so schon vorgegeben, wie sie sich verhalten, was sie tun und sagen werden. Kaum einer konnte das so gut wie William Shakespeare, über den Arthur Schopenhauer sagte, der ganze Shakespeare sei „nichts weiter als ein Mensch, der sogar wachend tun kann, was wir alle träumend können: Menschen nach ihrem Charakter reden lassen.“ Shakespeare befreite seine Figuren darüber hinaus moral-theologischen Dogmen oder den Regeln der Vernunft und ließ sie manchmal auch irrationale Entscheidungen treffen, die ihrem Wesen entsprachen und die zum höchsten Ausdruck ihrer Individualität wurden. Damit etablierte Shakespeare das neuzeitliche Menschenbild im Drama, das bis heute nicht mehr daraus wegzudenken ist.

 

Wodurch also zeichnet sich ein gutes Drama aus? Eines, das den Ansprüchen von Shakespeare, Goethe, Schiller und Yasmina Reza gerecht wird? Das Wort Drama stammt aus dem Altlateinischen und leitet sich vom Griechischen drãma ab, was so viel heißt, wie „Handlung“ oder „Geschehen“. Dramen fehlt das erzählende Element (Epik -> episch: erzählerisch). Sie sind ganz Dialog und Handlung. Für Goethe hieß das, „das Drama soll eilen, und der Charakter der Hauptfigur muß sich nach dem Ende drängen, und nur aufgehalten werden.“ Dadurch verbietet sich alles Beliebige, alles Überflüssige, alles Vernachlässigbare. Das Drama läuft unbeirrbar auf sein Ziel zu, das schon von Anfang an klar umrissen ist und dem der Charakter seiner Anlage folgend zwingend entgegen streben muss. Auch Friedrich Schiller sah diese Bedingtheit des Dramas: „Denn die Natur des Dramas duldet den Finger des Ungefährs oder der unmittelbaren Vorsehung nicht.“

 

Wie uns das Drama hilft, uns selbst zu erkennen


In seiner stark komprimierten, zugespitzten Form hält es uns einen Spiegel vor Augen und lässt uns etwas erkennen, das uns sonst im Alltag entgehen würde. Dort lenken uns all die Eindrücke, all die Nichtigkeiten und Belanglosigkeiten vom Wesentlichen ab. Das Drama aber hat keinen Raum für diese Nebensächlichkeiten. Dramen spitzen zu, legen bloß, schälen heraus und lassen kristallklar werden, was uns sonst verborgen bleibt. So zum Beispiel in den Dramen von Yasmina Reza, etwa „Der Gott des Gemetzels“. Das Drama seziert das, was hinter der Fassade der bürgerlichen Kultiviertheit der beiden Ehepaare unter der Oberfläche brodelt und sich schließlich seinen Weg bahnt. Reza komprimiert das Drama auf das Wesentliche: Ein Wohnzimmer, in dem vier Figuren aufeinandertreffen, die einander nicht ausweichen können. Von Anfang an liegt Spannung in der Luft und jede Möglichkeit, die Eskalation zu vermeiden, wird den Figuren verbaut. Auf diese Weise mit allem konfrontiert, was sie sonst zu vermeiden suchen, werden die vier Elternteile zu den jeweils schlimmsten Versionen ihrer selbst – und stehen nackt und verletzlich vor dem Leser bzw. vor dem Publikum.

 

Das Drama betrachtet das Leben durch eine LupeZu welchem Zweck?, könnte man jetzt fragen. Diese Frage haben sich schon andere Theoretiker des Dramas gestellt. Etwa Aristoteles in seiner theoretischen Abhandlung „Poetik“. Darin hält Aristoteles als Ziel eines guten Dramas die Katharsis des Zuschauers, seine „Reinigung“ von bestimmten Affekten, fest. Indem der Zuschauer diese Erregungszustände im Drama durchlebt, befreit er sich von ihnen, wird von innen gereinigt. Vor Aristoteles war der Begriff hauptsächlich in der Sphäre des Sakralen in Gebrauch, wo er für die kultische Reinigung stand. Kunst als Läuterung war ein neuer Ansatz – und so wirkungsmächtig, dass er sich bis heute durch die Dramentheorie zieht. Auch Goethe griff darauf zurück, als er im 18. Jahrhundert sagte, die Katharsis sei als Ausgleich der Leidenschaften zu verstehen. Allerdings nicht für den Zuschauer, sondern für die Figuren des Dramas. Pflicht und Neigung kommen in den Dramen der Klassik in die Waage. Ihre Harmonie galt als eines der höchsten Ziele der Klassik in der Literatur. Das Drama diente also als Vorbereitung auf eine moralische Verbesserung.

 

Man könnte spekulieren, ob das auch die Intention in Yasmina Rezas Drama „Der Gott des Gemetzels“ war, doch Reza selbst sieht für das Drama ein ganz anderes Ziel: die Erkenntnisgewinnung. „Die Aufgabe der Kunst ist es, ein zusätzliches Licht auf das Leben zu werfen und unserem an sich doch ziemlich trübseligen Dasein ein bisschen Glanz zu verleihen“, sagt sie. „Die Kunst soll den Menschen in eine Dimension versetzen, die über dem Alltag steht, sie soll ihn klüger machen.“ Aus ihrem Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“ nimmt der Zuschauer das Bewusstsein über die Ungewissheit der Dinge, die Zerbrechlichkeit und die Einsamkeit der Menschen mit, jener Menschen, die „die Welt nicht mehr verstehen, die zu brutal und modern für sie ist“ (Wolfgang Borchert Theater). Er nimmt daraus mit, dass der Mensch unter der bildungsbürgerlich kultivierten Oberfläche ein empfindsames Wesen ist, das sich von zivilisatorischen Spielregeln nur bedingt und nur eine Zeitlang in die Schranken weisen lässt. Und er versteht, dass die vermeintliche Harmonie in einer Vorzeigeehe nichts über den tatsächlichen Seelenzustand der Beteiligten aussagt. Dass es auch in einer solchen Ehe Wunden geben kann, die so tief sind, dass auch eine perfekte Inneneinrichtung und eine Privatschule für die Kinder nichts daran ändern können. An solchen Erkenntnissen erkennt man ein großes Drama.

 

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