Der Fluch der Literaturverfilmung
Alfred Hitchcock soll einmal einen Witz erzählt haben, der in unnachahmlicher Art auf den Punkt bringt, was die meisten Menschen von Literaturverfilmungen halten: „Zwei Ziegen fressen die Filmrolle einer Literaturverfilmung. Sagt die eine zu anderen: Das Buch war mir aber lieber!“ Tatsächlich ist das die Antwort, die man am häufigsten hört, wenn man jemanden fragt, wie ihm eine Romanverfilmung gefallen hat. „Ok, aber das Buch war besser.“ Warum ist das so?
Warum ist das Buch in unserer Wahrnehmung in der Regel besser als die Verfilmung, obwohl hier doch erstklassige Regisseure und Schauspieler mit außergewöhnlichem Aufwand, mit spektakulären Kulissen, modernster Technik und atemberaubenden Special-Effects gearbeitet haben, um die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen? Womöglich liegt es daran, dass keine noch so tolle Technik das toppen kann, was wir selbst mitbringen, wenn wir einen Roman lesen: Unsere Phantasie. Wenn wir Bücher lesen, spielt sich die Geschichte nur in unserem Kopf ab. Wir statten die Geschichte aus, verleihen unseren Charakteren Gesichter und malen die Landschaften, durch die sie sich bewegen. Eine Romanverfilmung ist dahin gegen nur ein Spaziergang durch die Phantasie eines anderen Menschen – minus das, was die Technik (noch) gar nicht umzusetzen im Stande ist.
Warum sich Literaturverfilmungen häufen
Es ist vielleicht eine rein subjektive Warnung, aber es scheint so, als wäre den Drehbuchschreibern inzwischen der Stoff ausgegangen, sodass sie immer wieder gezwungen sind, auf Romane zurückzugreifen. Muss man sich in Anbetracht der Fülle an Literaturverfilmungen (vor allem Fantasy-Filme) Sorgen machen, dass alle Geschichten bereits erzählt wurden und es nun nichts Neues mehr gibt, worüber man Filme machen könnte? Oder sind viele Drehbuchautoren einfach nur faul und uninspiriert? Oder ist die Anhäufung von Romanverfilmungen vielleicht aber ein nobler Versuch mehr filmbegeisterte Menschen zum Lesen zu bringen? Sind Romanverfilmungen in Wahrheit eine Liebeserklärung an das Buch? Das mag in einigen Fällen so sein. Peter Jackson war ein begeisterter Fan Tolkiens und es ist wohl seiner Liebe zum Stoff und seiner Leidenschaft für Mittelerde zu verdanken, dass es tatsächlich gelungen ist, das als unverfilmbar geltende Meisterwerk „Herr der Ringe“ letztendlich doch auf die Leinwand zu bringen.
Aber es wäre doch sicher naiv zu glauben, dass bei dieser unüberschaubaren Vielzahl von Romanverfilmungen immer vergleichbar viel Leidenschaft im Spiel ist. In der Regel geht es also womöglich nur um eins: möglichst viel Profit aus einer Geschichte zu schlagen, sie doppelt und dreifach auszuwerten, sodass so viele Menschen wie möglich daran verdienen. Oder, wenn man nicht ganz so schwarz malen will: das häufig als minderwertig eingestufte Medium Film durch die literarische Vorlage aufzuwerten. Denn seien wir ehrlich – trotz der Fülle an wenig anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur ist das Lesen noch immer höher angesehen als das Filme gucken. Möchte das bewegte Medium am Ende einfach nur etwas von diesem Glanz abhaben, wenn es Literaturverfilmungen am Band produziert? Erlaubt man es deshalb vielleicht auch immer mehr Autoren, Einfluss auf die Romanverfilmungen zu nehmen? Oder ist es hier umgekehrt: Konnten die Autoren nicht mehr ertragen, wie ihre Geschichten demontiert und geplündert werden, um es mit Gaby Schachtschnabel zu sagen, die sich für ihre Arbeit „Der Ambivalenzcharakter der Literaturverfilmung“ mit der Thematik auseinandergesetzt hat?
Fluch oder Segen: Literaturverfilmung mit Autor?
Doch werden die Romanverfilmungen dadurch besser, dass der Autor intensiv daran beteiligt ist? Das ist am Ende vermutlich von Film zu Film verschieden. Der Verfilmung von George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ in die sagenhaft gute TV-Serie „Game of Thrones“ hat der Einfluss des Autors mehr als gut getan. Die bislang drei Staffeln orientieren sich sehr eng an den Büchern, die Dialoge sind zum Teil komplett übernommen worden. Nur darf man hierbei nicht vergessen, dass es sich bereits um 30 Stunden Film handelt (drei Staffeln zu je zehn Folgen à eine Stunde). Anders wäre es niemals möglich, dieses opulente Fantasy-Werk in bislang zehn Bänden zu verfilmen. Selbst eingefleischte Fans der Romane können also ohne schlechtes Gewissen die Folgen von „Game of Thrones“ genießen. Anders verhält es sich womöglich mit „Harry Potter“. J.K. Rowlings Einfluss auf die Romanverfilmungen konnte nicht verhindern, dass sich die Filme hin und wieder sehr weit von den Romanvorlagen entfernen. Fans, die kurz zuvor das Buch gelesen hatten, waren enttäuscht. Immer wieder gibt es auch zynische Stimmen, die behaupten, die Verfilmungen hätten Rowling beim Schreiben der späteren Romane beeinflusst. Bei zeitgleicher Fortführung der Reihe und den Veröffentlichungen der Literaturverfilmungen ist eine solche Wechselwirkung nicht auszuschließen.
Weitere Beispiele, bei denen sich der Einfluss des Autors positiv auf den Film ausgewirkt hat, sind „Der Medicus“ von Noah Gordon, „Ziemlich beste Freunde“ von Philippe Pozzo di Borgo und „Die Tribute von Panem“ von Suzanne Collins. Der Film „Der Medicus“ von Philipp Stölzl erhielt das Prädikat „besonders wertvoll“ von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW). Sie lobt: „Eine bis in alle Details gelungene Literaturverfilmung, die durch Eigenständigkeit überzeugt.“ Von Fans und Kritikern abgewertet wurde hingegen Harald Zwarts Literaturverfilmung von „Die Chroniken der Unterwelt“. Die „New York Post“ schreibt: „Völlig überladener Fantasy-Mashup, dessen Special-Effekte sich kein bisschen speziell anfühlen und dessen Story bis in die Schlussminuten erklärt werden muss.“
Das passiert bei Literaturverfilmungen schnell, schließlich müssen komplexe Handlungen verständlich zusammengekürzt werden, Dinge gekürzt oder abgewandelt werden. Das gelingt nicht immer. Darüber hinaus unterscheidet sich das Schreiben für den Film stark vom Schreiben eines Buches. Und nicht zuletzt: Nicht jeder Stoff eignet sich zum Verfilmen. Nur weil ein Buch gut ist, heißt das nicht, dass es eine Literaturverfilmung geben muss und dass ein Film, der auf dieser Story basiert, gut werden kann. Doch die Möglichkeit, an ein und derselben Geschichte doppelt und womöglich dreifach Geld zu verdienen, ist wohl einfach zu verlockend. Und so werden wir auch in Zukunft noch viele Literaturverfilmungen erleben, die an die Buchvorlage nicht annähernd herankommen. Aber versteht uns nicht falsch: Für jede, der es gelingt, sind wir dankbar. Unter den Literaturverfilmungen, die wir hier für Sie zusammengestellt haben, sind auch einige wirkliche Meisterwerke dabei, die wir sehr schätzen.
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