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Die eigene Wahrheit des Realismus in der Literatur

 

Realismus Literatur versinnbildlicht durch eine Tür.Der Realismus in der Literatur war ein ehrgeiziger Versuch der Dichter und Schriftsteller, die Wirklichkeit in ein poetisches Gewandt zu kleiden. Das Wirkliche beschreiben – auch möglichst detailgetreu – doch dabei alles ausklammern, was auch nur im Entferntesten nach Sozialkritik klingen könnte. Nicht wahllos eine Wirklichkeit abbilden, sondern nur die Eine, die genehm ist. War der Realismus in der Literatur also im Ansatz mit dem Naturalismus in der Literatur konform – beide Richtungen wollten dass sich der Dichter mit der Wirklichkeit beschäftigt, anstatt zu spekulieren und zu träumen – unterschied er sich zugleich sehr stark von dieser etwas zeitgleich auftretenden Strömung.

 

Empfehlenswerte Sachbücher zum Thema Realismus in der Literatur:

 

All das erklärt sich, wenn man die Hintergründe der Literaturepochen beleuchtet. Als sich der Realismus in der Literatur entwickelte, waren große Umbrüche in Gange. Das Bürgertum begehrte immer stärker auf, emanzipierte sich, stellte Forderungen und träumte von staatlicher Einheit und politischer Freiheit. Stärkstes Symptom dieser Bewegung war die Märzrevolution 1848. Das Bürgertum als Ideal, das war das Bild, das der Realismus vermitteln wollte. Die schrecklichen Auswirkungen dieser Phase der Industriellen Revolution auf die Arbeiterklasse, das Raue, das Hässliche, das hatte darin keinen Platz. Man lebte auf Kosten derer, die in den Fabriken verheizt wurden und ließ sich in der Literatur des Realismus als das Maß aller Dinge feiern.

 

Kurzer Überblick: Merkmale der Realismus-Literatur

 

  • Detailtreue als wichtigstes Merkmal
  • Genaue Wiedergabe von Fakten, Tatsachen und psychologischen Vorgängen
  • Literatur nicht als Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern Verarbeitung der Realität mit den Mitteln der Literatur
  • genaue Realitätsbeschreibung kombiniert mit einer subjektiven Erzählhandlung
  • Verwendung von Humor und Ironie, um Wirklichkeit zu verklären
  • formale, inhaltliche und stoffliche Einfachheit, verständlicher Stil
  • harmonische Verbindung der inneren und äußeren Räumlichkeiten
  • Schwerpunkt auf historischen Stoffe, die eine wirklichkeitsgetreue Schilderung ermöglichen
  • Thematische Bearbeitung von sozialen Missständen in der Gesellschaft

 

Die poetische Wahrheit des Realismus in der Literatur

 

Dementsprechend ist nicht alles für bare Münze zu nehmen, was uns in den Romanen, Gedichten und Dramen des Realismus begegnet. Verklärung war das Gebot der Stunde: Sei ehrlich, aber verschone uns mit den unschönen Details. Stattdessen ergossen sich die Dichter in detailgetreuen Beschreibungen des bürgerlichen Lebens, in Darstellungen historischer Ereignisse, die bis ins Kleinste rekonstruiert wurden, sofern sie den Zwecken des Bürgertums dienten. Während sich der Naturalismus den Naturwissenschaften verschrieben hatte und alles daran setzte, dem Wesen der Wahrheit auf den Grund zu kommen, sich dem Original so nah wie möglich anzunähern, hatte sich der Realismus in der Literatur seiner ganz eigenen Wahrheit verschrieben. Einer poetisierten Wahrheit. Literaturwissenschaftler sprechen deshalb heute auch vom Poetischen Realismus.

 

Schönheit und Ästhetik war nicht mehr objektiv. Es war jetzt auch die Aufgabe des Autors, die Schönheit in alltäglichen Dingen zu finden und sie dem Leser zu offenbaren. Sein subjektiver Blick auf die Wirklichkeit sollte uns Schönheit erschließen, wo wir sie sonst vielleicht nicht erkennen würden. Vielleicht hieß das am Ende auch, den Blick von den Arbeitersiedlungen wegzulenken, ihn bewusst auf etwas zu lenken, das weniger verfänglich war, die Autorität des Bürgertums weniger infrage stellte, seine neue Macht weniger gefährdete. Milieustudien und sozialkritische Ansätze waren das Letzte, was sich die Realisten in der Literatur hatten wünschen können. Denn ein solcher unvoreingenommener Blick auf die Zustände in großen Teilen der Bevölkerung hätte doch bedeutet, die bestehende und gerade neu entstehende Ordnung infrage zu stellen. Das konnte nicht im Interesse des aufstrebenden Bürgertums sein, das nun endlich seine Chance sah, dem Adel den Rang abzulaufen.

 

Realismus in der Literatur – damals und heute

 

Realismus Literatur versinnbildlicht durch eine Tapete, die abgezogen wird.Im Laufe der vergangenen 150 Jahre hat sich der Realismus gewandelt. Noch immer gibt es den Ansatz, das Poetische im Alltäglichen zu entdecken. Das gilt sowohl für den neuen Realismus in der Literatur als auch für die Fotografie und den Film. Man denke nur an die ästhetischen Schwarz-Weiß-Fotografien aus Industriebauten, an diese zugleich tragisch und doch sehr schön anmutenden Bilder aus den Krisengebieten, die uns im tiefsten Inneren berühren. Und doch würde man hier nicht zwangsläufig von Verklärung sprechen. Dieser neue Realismus vereint die Ansätze von Naturalismus und Realismus. Anstatt die Missstände zu verleugnen, richtet die Kunst den Blick des Betrachters bewusst darauf, nutzt die Ästhetik, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln, um ihn dafür einzunehmen. Es wäre aber wohl naiv zu glauben, dass es den Realismus, wie er zwischen 1848 und 1890 existierte, heute nicht mehr gibt. Unter dem Deckmantel des Realismus lässt sich nämlich noch immer wunderbar manipulieren. Noch heute sagt der Realismus in der Literatur: Ich schildere dir die Wahrheit. Doch es ist meine Wahrheit. Diese subjektive Komponente ist bis heute erhalten geblieben – und es spricht prinzipiell nichts dagegen – doch in der unkritischen Rezeption solcher Romane liegt eine Gefahr.

 

Wer die die realistischen Romane aus der Mitte des 19. Jahrhunderts liest, der könnte glauben, dass das friedliche, gutbürgerliche Idyll der Wirklichkeit entsprach. Er könnte glauben, es habe die Armut in den Arbeitervierteln und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Fabriken niemals gegeben. Der realistische Roman setzt uns Scheuklappen auf, blendet bewusst aus und manipuliert unser Bild. Doch wehe, wenn wir dann einen Roman aus dem Naturalismus in die Hand nehmen und erkennen, dass der Realismus in der Literatur bewusst den Zweck verfolgte, uns zu täuschen, uns zu beeinflussen, uns EINE Wahrheit glauben zu machen. Die Wahrheit des Bürgertums. Und genauso kann es uns heute gehen: Romane, die sich selbst in der Tradition des Realismus sehen, können eine Wirklichkeit schaffen, die Dinge ausklammert und die deshalb nicht weniger wahr ist. Aber es ist dann eben nur EINE Wahrheit von vielen. Eine Wahrheit, die wir nur in den richtigen Kontext einordnen können, wenn wir auch Bücher lesen, die andere Wahrheiten aufzeigen und uns im Zusammenspiel ein großes Ganzes präsentieren.

 

Folgende Schriftsteller werden dem Realismus in der Literatur (1848 - 1890) - unter anderem - zugeordnet:

 

Von ihnen stammen die wichtigsten literarischen Werke des Realismus, die wir hier für Sie zusammengestellt haben:


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