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Hat der Duden endgültig ausgedient?

 

Mädchen lernt ohne Duden schreibenHat der Duden ausgedient? Wer sich durch das Internet klickt und Beiträge in Foren und sozialen Netzwerken liest, der muss diese Frage eindeutig mit einem „Ja“ beantworten. Rechtschreibung scheint nunmehr nur noch das zu sein, was in Büchern und Zeitungen zur Anwendung kommt. Mit dem alltäglichen Leben hat das, was im Duden steht, längst nichts mehr zu tun. Wie auch, wenn das Smartphone über Autokorrektur Wörter nicht nur automatisch korrigiert, sondern uns auch gelegentlich dazu zwingt, aus Buchstabensalaten die richtigen Wörter zu erkennen. Wer macht sich schon die Mühe, beim Schreiben einer WhatsApp-Nachricht oder in einem Facebook-Kommentar den Duden zu konsultieren, wenn er sich über die Schreibweise nicht sicher ist? Man schreibt, wie man denkt und überlässt Rechtschreibung und Kommareglung denen, die dem Duden trotzallem noch immer die Treue halten wollen. Doch kann das Land der Dichter und Denker, die Sprache von Goethe, Schiller und Co. ohne eine einheitliche Sprachreglung auskommen?

 

Die große Sprachverwirrung im neuen Duden


Noch nie war die Kluft zwischen dem, was der Duden und die Schule lehren und dem alltäglichen Schreiben so groß wie heute. Dass Kinder heutzutage weniger Bücher lesen und damit seltener in Kontakt mit den Rechtschreibregeln kommen, wie sie der Duden vorsieht, ist dabei aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die viel kritisierte Rechtschreibreform von 1996, die statt Klarheit und Einheitlichkeit nur eine einzige riesige Rechtschreib-Verwirrung kreiert hat. Wer noch nach der alten Rechtschreibung Schreiben gelernt hat, tut sich schwer damit, die neuen Regeln anzunehmen und sie auch im alltäglichen Schreiben umzusetzen. Der Duden ist keine große Hilfe, scheint die neue Rechtschreibung doch fast ausschließlich aus Ausnahmen und Sonderreglungen zu bestehen.

 

Die „Deutsche Sprachwelt“, die größte deutsche Sprachzeitung, hat ermittelt, dass zu den 112 Regeln der reformierten Rechtschreibung 1.106 zusätzliche Anwendungsbestimmungen im aktuellen Duden bestehen. Das sind 105 Wörterlisten mit insgesamt 1.180 Wörtern, deren Schreibweise sich nicht logisch herleiten lässt, sondern die man auswendig lernen muss. Darüber hinaus kennt der Duden 1.180 weitere Wörter mit zwei möglichen Schreibweisen. Die „Deutsche Sprachwelt“ schreibt: „Das bedeutet, dass etwa ein Fünftel der aufgelisteten 12.000 Wörter nicht durch die Regeln der amtlich reformierten Rechtschreibung erfasst wird. Sie müssen auswendig gelernt werden.“ Kein Wunder also, dass sich kaum noch jemand die Mühe macht, den Duden zu konsultieren. Das Nachschlagen würde ja doch kein zufriedenstellendes Resultat erbringen. In der Folge schreibt jeder wie er denkt, oder wie er es vor der Einführung der Reform einmal gelernt hat.

 

Schreiben lernen ganz ohne Duden – geht das?


Wenn die Kinder in der Schule also nach der neuen Rechtschreibung schreiben lernen, dann lernen sie nicht für das Leben, sondern ausschließlich für die Schule. Außerhalb dieser Mauern kommen die Regeln des Dudens nämlich so gut wie gar nicht zur Anwendung. Es erschien deshalb sinnvoll, in der Schule darauf zu verzichten, ein so dogmatisches und komplexes Werk wie den Duden als Grundlage für das Schreiben lernen zu nutzen. Stattdessen wird an vielen Schulen die Methode „Lesen durch Schreiben“ praktiziert, eine unkonventionelle Art, die Kinder ans Schreiben heranzuführen, die von dem Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen entwickelt wurde. Statt des Dudens bekommen die Kinder eine Anlauttabelle, die ihnen erklärt, welcher Laut welchem Buchstaben entspricht. Dann sollen sie so schreiben, wie sie sprechen. Der Rest käme von ganz allein. Natürlich entstehen so Fehler. „Liba Fata - ales gute zum Fatatak. Ich hab dich lib." Solche Stilblüten sind nicht selten und erklären auch, wie der eine oder andere Foreneintrag im Internet zustande gekommen ist. Doch ganz gleich wie sehr die Schreibweise der Kinder von dem abweicht, was im Duden steht: Die Lehrer dürfen die Fehler nicht korrigieren. Das verunsichere und deprimiere die Schüler nur. Stattdessen ermutige man sie zum freien Schreiben nach Gehör und Anlauttabelle. Erst nach und nach, wenn die Kreativität und Selbstständigkeit der Schüler ausreichend gefördert und gefestigt sei, könne man dann damit beginnen, den Duden zur Anwendung zu bringen.

 

Schreiben lernen ohne DudenDoch klappt das wirklich? Kann man den Duden und seine Regeln nachträglich implementieren, wenn die Kinder schon eine ganz eigene Vorstellung von der Schreibweise bestimmter Wörter entwickelt haben? So etwas prägt sich doch ein. Es wundert also nicht weiter, dass die Kinder, die nach der Methode von Jürgen Reich das Schreiben erlernt haben, weiter entfernt vom Duden sind als je zuvor. Einer Studie zufolge hat die neue Systematik dazu geführt, dass viel mehr Kinder Rechtschreibschwächen aufweisen als früher. Wenn aus dem Schreiben nach Lustprinzip plötzlich Schreiben nach Duden wird, haben nämlich vor allem die Kinder das Nachsehen, die eine Legasthenie aufweisen und die eigentlich eine spezielle Förderung gebraucht hätten. Nun aber haben sie zwei Jahre lang so geschrieben, wie sie dachten – und für eine wirksame Unterstützung des Kindes ist es nun bald schon zu spät. Harald Martenstein, Kolumnist beim ZEITmagazin, bringt die Idiotie dieser Situation auf den Punkt, als er eine Lehrerin zitiert, die von der neuen Methode ganz begeistert sei: Die Kinder lernten zwar nicht unbedingt Schreiben. Aber sie seien mit so viel Freude bei der Sache. „Der Erfolgsdruck ist weg“, sagte sie und Martenstein kontert: „Bei ihr selber ist der Erfolgsdruck ja auch weg“.

 

Kann es eine Welt nach dem Duden geben?


Können wir es uns wirklich so einfach machen und einen Duden voller Rechtschreibregeln erstellen, die niemand versteht oder anwenden will – und dann einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden, indem wir Kindern beibringen, dass sie sich nicht an die Regeln im Duden halten brauchen, solange sie nur mit Spaß und Motivation bei der Sache sind? Ist das das, was Konrad Duden, der Urvater des Dudens, gewollt hätte, als er 1880 das erste „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ herausbrachte? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich wollte er ein Werk schaffen, dass allen gleichermaßen als Leitlinie diente, als verbindliche, verlässliche Orientierung. Klare, einfache Regeln, ein durchdachtes Konstrukt, das nicht viele Ausnahmen braucht, sondern sich logisch erschließt und einfach merken lässt. Wahrscheinlich sollte der Duden ein Wörterbuch sein, das so zuverlässig ist, dass man es sowohl dazu verwenden kann, Kindern das Schreiben beizubringen, als auch dazu, im Alltag zu kommunizieren und hohe Literatur zu verfassen. Eine alltagstaugliche Verbindlichkeit.

 

Stattdessen aber hat man dem Duden, als Maßgabe für die amtliche deutsche Rechtschreibung, 1996 einfach kurzerhand den Sonderstatus entzogen, den er seit 1955 gehabt hatte, ihn für nichtig erklärt und festgelegt, dass „ein jeder nach eigenem Gutdünken schreiben darf, auch nach frei erfundenen oder veralteten Regeln“, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1998 heißt. Und dann wundern wir uns noch, dass unsere Kinder nicht schreiben können und es im Internet nur so vor Rechtschreibfehlern wimmelt. Ja, der Duden hat ausgedient. Doch wie es ohne ihn weitergeht, ist ungewiss, aber etwas mehr Verbindlichkeit wäre schön. Davon würden in erster Linie die Schüler profitieren, die endlich wüssten, wie Wörter wirklich geschrieben werden, aber auch die deutsche Sprache als Ganzes, die nicht mehr „dem Dahinsiechen preisgegeben“ wäre, wie Dr. Jan Henrik Holst, Lehrbeauftragter für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg, beklagte.

 

Diese Bücher können wir Ihnen für das Erlernen der Rechtschreibung - mit oder ohne Duden - empfehlen:

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