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Mit Literaturepochen die Welt verstehen

 

Das Wissen über die Literaturepochen gilt als Allgemeinwissen. Schon in der Schule wird viel Wert darauf gelegt, dass man sich die Merkmale der einzelnen Epochen merkt und in der Lage ist, die Texte zuzuordnen. Warum – das bleibt vielen Schülern wohl auf ewig ein Rätsel. Dieses Phänomen der Kategorisierung begegnet uns aber nicht nur in der Literatur: Sowohl die Geschichte als auch die Gegenwart werden von uns klassifiziert, in Boxen verpackt und etikettiert. Wir sagen gerne: „Wir leben im Zeitalter von...“ und nennen dann Spezifisches, das es nur hier und nur jetzt gibt. Es hilft uns, zu verstehen, wer wir sind und in welchem Kontext wir leben.

 

Warum wir Literaturepochen brauchen

 

 

Genauso hilft es uns, die jeweiligen Literaturepochen zu kennen und zu charakterisieren, wenn wir ein Werk verstehen wollen. Literatur ist nicht gradlinig, sie spricht nicht offen und frei heraus. Sie ist keine klare Ansage, die wir nur lesen brauchen, um sie zu verstehen. Hinter dem Lesen gibt es ein weiteres Lesen, das Analysieren und Interpretieren, das wohl jedem Schüler die Tränen in die Augen treibt. Unweigerlich stellt man sich die Frage: Wozu das Ganze? Warum soll man Texte, die Jahrhunderte alt sind, überhaupt analysieren und interpretieren? Was nützt es uns heute, die Klassiker zu lesen und sie dadurch zu verstehen, dass wir sie verschiedenen Literaturepochen zuordnen können?

 

Im Lehrplan heißt es, der Deutschunterricht (in den Sekundarstufen I und II) habe die Aufgabe, den Schülern eine Begegnung und Auseinandersetzung mit Literatur zu ermöglichen. Sie sollen historische und gesellschaftliche Bezüge erkennen und Grundmuster menschlicher Erfahrungen kennenlernen. Die kritisch analysierende Auseinandersetzung mit Texten der jeweiligen Literaturepochen hilft dabei, hinter die reine Wortfassade zu blicken und auch heutige Texte und Medien kritischer zu hinterfragen. Wer nicht gelernt hat, Absichten hinter Texten zu verstehen, der rezipiert Medien, Texte, Bücher und Filme einfach nur, kann ihren wahren Sinn nicht verstehen oder gar erkennen, ob er damit in eine bestimmte Richtung gelenkt werden soll.

 

Frühe Literaturepochen bis um 1500 n.Chr.

 

Betrachten wir doch dafür einmal die deutschen Literaturepochen etwas genauer. Allgemein beginnt man mit der Einteilung etwa um 500 unserer Zeitrechnung. Diese erste Literaturepoche ging etwa bis ins Jahr 800, in jene Zeit, als die Merseburger Zaubersprüche geschrieben wurden. Man nennt diese Epoche die Zeit der germanisch-heidnischen Dichtung. Überliefert sind uns aus dieser Zeit vor allem Götter- und Heldenepen, die in einer weitgehend schriftlosen Zeit den Kulturschatz der Völker fixierten. Geschichten wurden damals erzählt, um Wissen zu bewahren und weiterzugeben. Sie dienten aber auch dazu, den Menschen in einer Zeit Mut zu machen, die voller Gefahren und Unsicherheit war und die sie nicht recht verstanden. Mit ihren Texten schufen sie eine Ordnung, die es zur Zeit der Völkerwanderung und der Wikinger-Überfälle tatsächlich nicht gab. Das muss man wissen, wenn man sich mit den Texten dieser frühen Literaturepoche auseinandersetzt.

 

Ab  800 spricht man dann von der christlich-geistlichen Dichtung. Die Texte, die wir heute aus dieser Zeit vorliegen haben, beschäftigen sich überwiegend mit biblischen Themen, wurden von Mönchen in Klöstern aufgeschrieben, waren aufs Jenseits fixiert und hatten vorrangig die Funktion, die christliche Botschaft zu verbreiten und damit die Macht und den Einfluss der Kirche zu stärken. Um 1150 dann, im Hochmittelalter, spricht man von der ritterlich-höfischen Dichtung, deren bekannteste Texte der Minnelyrik zugeordnet werden. Sie handeln von der Verehrung eines tugendhaften Ritters einer idealisierten Dame gegenüber und lenken den Fokus vom Klerus auf die Aristokratie. Der Ritter als Idealbild, die schöne, aber unerreichbare Frau als Objekt der Anbetung – das sind die klassischen Motive dieser Literaturepoche, die sich schon stärker dem Diesseits zuwendet. Und der Trend setzt sich fort: Die bürgerliche Dichtung (etwa 1300 bis 1500) ist die erste Literatur des Volkes. Zwar konnten die wenigsten Bürger oder gar Bauern damals lesen, doch es waren vor allem Volkslieder, Schwänke und Mysterienspiele, die diese Literaturepoche beherrschten – und dafür musste man nicht lesen können. Diese Zeit war ein Vorbote und sicher auch eine Voraussetzung für die nun folgende Reformation.

 

Die Literaturepochen der Umwälzungen

 

Luthers Bibelübersetzung, bei der er dem Volke auf’s Maul schaute, sind ein ebenso wichtiges Indiz für die gewaltigen Umwälzungen dieser Zeit wie die vielen Streitschriften dieser Epoche. Die gesamte Welt war im Wandel begriffen und die alte Weltordnung sollte zu Fall gebracht werden. Noch stärker als in der vorangegangenen Literaturepoche wurden nun Volkslieder und Volksbücher geschrieben – und durch die Erfindung des Buchdrucks auch weit verbreitet. Bücher mussten nicht mehr teuer von Hand geschrieben werden. Sie konnten in höheren Auflagen gedruckt werden und sich so an eine breitere Masse richten. Hatten bisher die Kirche und die Adligen das Bildungsmonopol und damit die Deutungsherrschaft innegehabt und als einzige genug Geld besessen, sich Bücher leisten zu können, war dies eine Literaturepoche, in der auch Bürger endlich Zugriff auf das Wissen der Welt hatten. Und nicht nur das: Einfache Menschen begannen zu forschen und zu publizieren. Theoretisch hätte diese Epoche sofort in die Zeit der Aufklärung münden können, doch ab 1600 spricht man erst einmal vom Barock. Hier wird allmählich deutlich, dass sich Literaturepochen nicht immer deutlich voneinander abgrenzen lassen. Denn natürlich hielt das einfache Volk weiterhin an seinen Texten fest, doch dominiert wird diese Zeit vom Absolutismus, der sich mit Ludwig XIV, dem Sonnenkönig, von seiner ausgeprägtesten Seite zeigte. Ein letztes Mal ließ sich der Hof feiern, doch die Entwicklungen waren nicht mehr aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen. Nie mehr sollten Literaturepochen nachfolgend vom Adel bestimmt werden.

 

Mit der Aufklärung (um 1730 – 1800) brach eine neue Zeit an, eine Zeit der Bildung, der Entdeckung, der Forschung, der Neugier. Das Wort der Kirche wurde nicht länger als gegeben hingenommen, die Welt wurde vermessen und erkundet – und die Erkenntnisse in Buchform veröffentlicht. Nüchtern, trocken, lehrend sind die Texte dieser Zeit. Immanuel Kant, Voltaire und Lessing sind Vertreter dieser bedeutenden Literaturepoche, der wir heute einige der größten Klassiker der Weltliteratur verdanken. Doch schon etwa 30 Jahre nach Beginn der Aufklärung entwickelte sich eine Gegenströmung: der Sturm und Drang, dessen wichtigstes Buch Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ war. Es war die Abkehr von der reinen Vernunft der Aufklärung: schwärmerisch, pathetisch, leidenschaftlich, gefühlsbetont. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen nacheinander zwei weitere Literaturepochen hinzu, die maßgeblich von Goethe bestimmt wurden und die die bereits vorhandenen ergänzen, ohne sie vollständig zu ersetzen. Während die Weimarer Klassik, deren wichtigste Vertreter Goethe und Schiller waren, die Leidenschaft des Sturm und Drang zu bändigen und zu veredeln verstand und sich nach der Strenge der Antike zurücksehnte, brach die Romantik alle Grenzen auf. Auch die Religion fand hier nun wieder einen Platz, wandelte sich aber zu einer persönlichen Naturreligion, die nicht von der Kirche dogmatisiert war. Diese Flucht aus der Realität, in einer Zeit, die als Ruhe vor dem Sturm betrachtet werden kann, setzt sich dann im Biedermeier (1830 – 1848) fort. Das Bürgertum zog sich in eine Scheinwelt des Schönen zurück und ignorierte, dass überall in Europa die Arbeiter auf die Straßen gingen und für ihre Rechte kämpften. Der Vormärz, bzw. das Junge Deutschland, dessen wichtigster Vorreiter Heinrich Heine war, war dann umso politischer.

 

Übersicht: Literaturepochen einer neuen Zeit

 

Diese mächtige Entwicklung findet ebenfalls in Literaturepochen Ausdruck: Der poetische Realismus zeigt die nackte Realität ganz nüchtern und wird kurz darauf noch vom Naturalismus übertroffen, der versucht, die Realität 1:1 nachzubilden und festzuhalten. Kunst musste kunstlos sein, um radikale Zeitkritik üben zu können. Milieustudien und Geschichten aus den Fabrik-Höllen der Industrialisierung sorgten für gesellschaftliche Umwälzungen, für eine Erstarkung der Arbeiterklasse. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte nach dem Ersten Weltkrieg auch die Neue Sachlichkeit. Mit dem Expressionismus und der Neuromantik entwickelten sich Gegenströmungen der vorgenannten Literaturepochen und es wird nun immer schwieriger, Grenzen zu ziehen. Während des Dritten Reiches gab es sowohl die Propaganda-Literatur der Nationalsozialisten, die als Literatur unterm Hakenkreuz bezeichnet wird, als auch die Innere Emigration derjenigen, die trotz allem in Deutschland blieben und die die Augen vor der Realität verschlossen, und die Exilliteratur derer, die das Land verlassen hatten und im Ausland auf die Gefahr durch die Nationalsozialisten aufmerksam machten. Es folgte die Trümmerliteratur, die Nachkriegsliteratur, deren wichtigste Vertreter Berthold Brecht und Günter Grass waren, die zeigten, wie Deutschland aus den Ruinen neu auferstand, die sich mit Schuld und Hoffnungslosigkeit, mit Trauer und Verlust nach dem Krieg auseinandersetzten. Die Entwicklung der Literaturepochen in BRD und DDR lief dabei nicht parallel, denn die Autoren hatten mit unterschiedlichen Realitäten und Problemen zu kämpfen. Hier spricht man auch von der postmodernen Literatur.

 

Seit 1980 spricht man nun von der Gegenwartsliteratur, doch es ist beinahe unmöglich zu sagen, was eine Literaturepoche kennzeichnet, bevor sie vorbei ist. Rückblickend werden wohl die Globalisierung, der Siegeszug der Neuen Medien, die Popkultur und die Digitalisierung eine große Rolle spielen. Doch das wird erst die Generationen nach uns in der Schule interessieren, wenn sie sich mit den Literaturepochen beschäftigen und die heutigen Bestseller analysieren und interpretieren muss.

 

Literaturepochen in der Übersicht

 

Diese Werke der einzelnen Literaturepochen finden Sie bei uns:

Antike (bis ca. 600)

Mittelalter (ca. 600 bis 1600)

Renaissance (1350 - 1600)

Reformation (1517 - 1600)

Barock (1600 - 1720)

Aufklärung (1720 - 1800)

Empfindsamkeit (1740 - 1790)

Sturm und Drang (1770 - 1785)

Weimarer Klassik (1786 - 1805)

Romantik (1795 - 1840)

Biedermeier (1815 - 1848)

Vormärz (1830 - 1848)

Poetischer Realismus (1850 - 1890)

Naturalismus (1875 - 1900)

Impressionismus (1890 - 1920)

Expressionismus (1910 - 1925)

 

Weimarer Republik


Neue Sachlichkeit (1925 - 1940)

Exilliteratur/Zweiter Weltkrieg (1939 - 1945)

Nachkriegsliteratur (ab 1945)

DDR (1948 - 1989)

Gegenwartsliteratur


* Wie jede Einteilung in Literaturepochen ist auch diese Übersicht anfechtbar und nicht einwandfrei belegbar.


Lesen Sie mehr über die Literaturepochen:



Oder stöbern Sie durch unsere Klassiker der Weltliteratur.


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