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Streitpunkt Deutscher Buchpreis

 

Deutscher Buchpreis als Kreidezeichnung an der WandDer Deutsche Buchpreis ist zugleich einer der jüngsten und der begehrteste Buchpreis Deutschlands. Erst seit 2005 wird er im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, der größten Buchmesse der Welt, vergeben. Doch so begehrt, wie der auf 25.000 Euro dotierte Literaturpreis ist, so umstritten ist er auch. Spätestens seit 2008, als sich zahlreiche Schriftsteller empörten, steht der Vorwurf im Raum, der Deutsche Buchpreis werde nach „außerliterarischen Kriterien“ vergeben. Daniel Kehlmann, eine der großen Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, nannte ihn damals ein „entwürdigendes Spektakel“. Mit den internationalen großen Buchpreisen, wie dem Prix Concourt und dem Man Booker Prize, hat er denn auch verhältnismäßig wenig gemein. Während die anderen beiden Auszeichnungen allgemein das Renomée haben, höchste literarische Maßstäbe anzulegen, war es der offizielle Vorsatz des Deutschen Buchpreises, die Publizität deutschsprachiger Werke zu erhöhen – und damit nicht zuletzt auch den Abverkauf anzukurbeln.

 

Heftige Kritik von allen Seiten am Deutschen Buchpreis


Wer es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schafft, der wird vom Buchhandel besonders gepuscht, auf günstig positionierten Aktionstischen in Buchläden aufgebaut, mit großen Plakaten beworben und in Rundfunk und Fernsehen diskutiert. Blickt man hinter die Kulissen des Deutschen Buchpreises, ist auch ganz offensichtlich, warum das so ist. Vergeben wird der Deutsche Buchpreis vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – einer Institution, die größtmögliches Interesse daran hat, dass so viele Bücher wie möglich verkauft werden. Sowohl die Verlage und der Zwischenbuchhandel als auch der Buchhandel selbst sind im Börsenverein des Deutschen Buchhandels vertreten – und sie alle schielen natürlich auf die Zahlen.

 

Natürlich wäre Literatur ohne die Einnahmen aus den Buchverkäufen nicht möglich. Von Worten, Luft und Liebe allein können weder Schriftsteller, noch Lektoren, noch Verleger leben. Doch was den Schriftstellern – allen voran Daniel Kehlmann (übrigens 2013 selbst auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis vertreten und 2005 unter den 5 Finalisten gewesen) - aufstößt, ist, dass es sich beim Deutschen Buchpreis nur vorgeblich um einen Preis handelt, der anspruchsvolle Literatur auszeichnet. Dahinter aber verbirgt sich – dem Journalisten Wolfgang Schütte zufolge – aber ein Marketing-Trick, der vor allem „den bestsellersüchtigen Buchhandelsketten“ nützt. Die Autoren und ihre Bücher seien eher zweitrangig. Die Kolumnistin des Spiegels, Sibylle Berg, brachte es mit einer provokanten Frage - „Na, wer hat letztes Jahr gewonnen?“ - auf den Punkt. Mit dem Namen Ursula Krechel, die für ihr Buch „Landgericht“ ausgezeichnet wurde, kann dann auch kaum noch jemand etwas anfangen.

 

Wer entscheidet über die Verleihung des Deutschen Buchpreises?

 

Kurz vor der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2013 fragte das Börsenblatt die Händler, ob sich die Nominierungen für die Shortlist auch auf ihre Absatzzahlen auswirkten – immerhin hätte Mirko Bonnés „Nie mehr Nacht“ bereits zum dritten Mal aufgelegt werden müssen und Reinhard Jirgls „Nichts von euch auf Erden“ sei nach der Nominierung doppelt so oft verkauft worden, wie zuvor. In der Tendenz zeigte sich in dieser Umfrage jedoch, dass die Shortlist des Buchpreises im Besonderen und literarische Auszeichnungen im Allgemeinen eher keine Auswirkungen auf das Geschäft habe. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass beim Deutschen Buchpreis, wie Sibylle Berg es formuliert, etwas „gewaltig schiefgelaufen“ ist. Vielleicht liegt es daran, dass die Jury nicht genau den Geschmack der Leserschaft trifft, dass sie – wie Kehlmann es andeutet – gar nicht in der Lage ist, eine repräsentative Entscheidung zu treffen. Sie wird jedes Jahr aufs Neue zusammengestellt und setzt sich aus zwei Schriftstellern, vier Journalisten und einem literarischen Buchhändler zusammen. Alle Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfen sich dann mit maximal zwei Titeln bewerben, die zwischen Oktober des Vorjahres und September des jeweiligen Jahres erschienen sind. Demzufolge legen die meisten Verlage ihre hoffnungsvollsten Bücher in das Sommerprogramm, um den Verkauf anzukurbeln. Wer im Herbst erscheint, ist beim Buchpreis des kommenden Jahres schon fast in Vergessenheit geraten.

 

Der Deutsche Buchpreis verdeutlicht als Bestseller, die Geld einbringenAus all diesen Einsendungen erstellt die Jury des Deutschen Buchpreises dann die sogenannte Longlist, die 20 Titel umfasst. Schon diese 20 Titel bekommen eine höhere Aufmerksamkeit in den Medien und Buchläden, wenn die Liste im August des jeweiligen Jahres erscheint. Im September dann geben die Juroren die sechs Finalisten zum Deutschen Buchpreis bekannt. Die Veröffentlichung der Shortlist ist das mit Spannung erwartete Ereignis des frühen Herbstes. Von da an dürfen sechs Autoren bis zur Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römers am Eröffnungstag der Frankfurter Buchmesse hoffen und bangen. Daniel Kehlmann kritisierte in der FAS, dass Bücher, die es nicht auf die Longlist geschafft hätten, in der Folgezeit kaum noch Beachtung in den Feuilletons der großen Zeitung fänden – unabhängig von ihrer Qualität. Und das, obwohl Kehlmann der Jury – „trotz unterschiedlicher Teilnehmer“ – eigentlich die Objektivität abspricht, diese Entscheidung qualifiziert treffen zu können.

 

Die Wertung der Jury erfolge vielmehr „immer wieder nach den außerliterarischen Mechanismen eines zwar nicht korrupten, aber doch sehr verfilzten Milieus.“ Ein Spiegel-Leser, der unter dem Pseudonym Spiegelkritikus schreibt, hatte im Kommentar zu Sibylle Bergs Kolumne „It’s a book“ deshalb einen interessanten Vorschlag: „Zu einer fairen Preisermittlung müssten im Buchsektor alle Neuerscheinungen seit der letzten Preisvergabe sowohl von „Literaturexperten" studiert als auch einer möglichst breiten interessierten Öffentlichkeit nähergebracht gebracht werden, zum Beispiel in Form von Lesungen in Rundfunk und Fernsehen. Dann müssten Experten und Laien zu einem demokratischen Urteil (per Abstimmung) kommen. Jury- und Laienurteile müssten noch irgendwie gewichtet werden, zum Beispiel 40/60. Falls sich kein klarer Gewinner ermitteln lässt, sollten wie beim naturwissenschaftlichen Nobelpreis auch mehrere Kandidaten ausgezeichnet werden können.“ Nur so könne verhindert werden, dass das Lesepublikum einfach einen Preisträger vorgesetzt bekommt, den es gar nicht einschätzen kann, und dessen Werk es erst im Anschluss an die Verleihung kaufen muss, um sich selbst ein Urteil bilden zu können.

 

Der Deutsche Buchpreis ist mit seinen Fehlern nicht allein


Dann müsste man aber konsequent sein und alle Literaturpreise in Frage stellen. Denn nur die wenigsten Buchpreise sind demokratisch. Der renommierte Prix Concourt zum Beispiel wird von einer Jury aus zehn Schriftstellern vergeben. Auch dort heißt es immer wieder, die Schriftsteller schlössen sich zusammen, um die ihnen nahestehenden Verlage zu begünstigen. Die Jury des britischen Booker Prizes setzt sich aus einem Schriftsteller, zwei Verlegern, einem Literaturagenten, einem Buchhändler, einem Bibliothekar und zwei Vertretern der Booker Prize Foundation zusammen. Auch hier sorgt die hohe mediale Aufmerksamkeit für den Preis, der seit 1969 vergeben wird, dafür, dass sich die Bücher der Booker-Ausgezeichneten überdurchschnittlich gut verkaufen. Der Literaturnobelpreis ist unter all diesen wahrscheinlich noch der demokratischste, bittet doch das Nobelkomitee, dessen Mitglieder für drei Jahre aus den Reihen der Akademie gewählt werden, sechs- bis siebenhundert ausgewählte Personen und Institutionen aus aller Welt um ihre Vorschläge für Kandidaten. Aus diesen etwa 350 Vorschlägen, die jährlich eingehen, werden dann zunächst 15 und später 5 Kandidaten extrahiert, zwischen denen abgestimmt wird. Doch wer kannte zum Beispiel Herta Müller, bevor sie 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt, oder Mario Vargas Llosa, bevor er 2010 damit ausgezeichnet wurde? Auch ihre Verkaufszahlen schossen nach der Preisverleihung rasant in die Höhe.

 

Es ist also kein spezifisches Problem des Deutschen Buchpreises, dass die Verleihung die Verkäufe ankurbelt. Es ist ein Punkt, den man allen Buchpreisen ankreiden kann. Und letztendlich gibt es ein wichtiges Argument, das auch in der heißen Diskussion um den Deutschen Buchpreis immer wieder angeführt wird: Es besteht eine große Notwendigkeit zur Popularisierung von qualitativ anspruchsvoller Literatur. Viele schwere, tiefgründige Werke, wahre Schätze der Literatur, würden für immer Nischenprodukte bleiben, erhielten sie nicht durch Buchpreise eine größere Aufmerksamkeit und daraus resultierend eine größere Leserschaft. Sicher kann man dem Börsenverein Deutscher Buchhändler nicht absprechen, mit dem Deutschen Buchpreis auch eigene Interessen zu verfolgen – und unter diesem Gesichtspunkt müssen Nominierungen und Auszeichnungen auch immer kritisch betrachtet und nicht einfach adaptiert werden – doch zugleich gibt es ein hehres übergeordnetes Ziel. Sich dieses Ziels Jahr für Jahr wieder würdig zu erweisen, ist die große Herausforderung, vor der der Deutsche Buchpreis steht. Auch wir, bei literaturtipps.de, werden deshalb jedes Jahr ein Auge auf die Kandidaten und ihre Werke haben. Deshalb haben wir auch nicht alle Bücher aus der Shortlist als Buchtipps aufgenommen. Manche Bücher der Longlist haben uns einfach besser gefallen. Bezeichnend dafür ist, dass fünf unserer Top-Schmöker es nur in die Longlist geschafft haben.

 

Rückblick: Deutscher Buchpreis 2013

 

Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2013 standen:

 

Auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013 standen:

 

Ausgezeichnet wurde Teréza Mora für ihren Roman „Das Ungeheuer“. Die Jury des Deutschen Buchpreises urteilte, „Das Ungeheuer“ sei ein „tief bewegender und zeitdiagnostischer Roman", ein „stilistisch virtuoses Werk und eine lebendige Road Novel aus dem heutigen Osteuropa“, in dem die 42-jährige Autorin „hohes literarisches Formbewusstsein mit Einfühlungskraft“ vereine.


Rückblick: Deutscher Buchpreis 2014


Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014 standen:



Auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2014 haben es dann geschafft:

 

Ausgezeichnet wurde "Kruso" von Lutz Seiler. In der Begründung der Jury hieß es: "Lutz Seiler beschreibt in einer lyrischen, sinnlichen, ins Magische spielenden Sprache den Sommer des Jahres 1989 auf der Insel Hiddensee – einem „Vorhof des Verschwindens“. Hier sammelten sich Sonderlinge, Querdenker, Freiheitssucher, Menschen, die aus der DDR fliehen wollten. Man darf die packende Robinsonade um den titelgebenden Kruso und den jungen Abwäscher Edgar als wortgewaltige Geschichte eines persönlichen und historischen Schiffbruchs lesen – und als Entwicklungsroman eines Dichters. Der Text entwickelt eine ganz eigene Dringlichkeit und ist nicht zuletzt ein Requiem für die Ostseeflüchtlinge, die bei ihrer Flucht ums Leben kamen. Lutz Seilers erster Roman überzeugt durch seine vollkommen eigenständige poetische Sprache, seine sinnliche Intensität und Welthaltigkeit.“

 

Der Deutsche Buchpreis 2015

 

Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2015 standen diese Bücher:

 

 

Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2015 standen folgende Bücher:


 

Ausgezeichnet wurde "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" von Frank Witzel.

 

Ralf Rothmann sollte für seinen großartigen Roman "Im Frühling sterben" nominiert werden, lehnte jedoch ab. Sandra Kegel schrieb dazu für die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Für den Deutschen Buchpreis freilich ist das keine gute Nachricht. Denn die Auszeichnung gilt laut Börsenverein dem „besten deutschsprachigen Roman des Jahres“. Vielleicht sollte es künftig besser heißen: dem besten deutschsprachigen Roman, der eingereicht wurde.“

Lesen Sie mehr über eine weitere nationale Auszeichnung, die vieles richtig macht, was man dem Deutschen Buchpreis als Fehler vorwirft: den Deutschen Jugendliteraturpreis. Passend zum Thema empfehlen wir Ihnen außerdem "Der beste Roman des Jahres" von Edward St. Aubyn, der sich voller bitterbösem britischen Humor mit dem Wahnsinn des Literaturbetriebs und der Intrigen hinter den Kulissen der Literaturpreise beschäftigt.

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